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OWi III: Bildung einer Rettungsgasse bei “stockendem Verkehr”, oder: Schrittgeschwindigkeit

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By Hubert Berberich (HubiB) – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79336627

Und die dritte Entscheidung, der KG, Beschl. v. 26.02.2020 – 3 Ws (B) 27/20 – befasst sich dann auch noch einmal mit der Schrittgeschwindigkeit, und zwar in Zusammenhang mit einem Verstoß gegen § 11 Abs. 2 StVO – Bildung einer Rettungsgasse. Mit den damit zusammenhängenden Fragen werden wir nach der StVO-Novelle sicher demnächst häufiger zu tun haben. Dazu das KG:

Der Polizeipräsident in B. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 10. Juli 2018 wegen des Vorwurfes, dieser habe es am 6. April 2018 als Fahrer des PKW P. auf der BAB 100 Richtung süd, Ausfahrt A.straße fahrlässig versäumt, eine Rettungsgasse zur Durchfahrt eines mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht herannahenden Polizeifahrzeuges zu bilden, wodurch das Einsatzfahrzeug behindert wurde und zugleich diesem Fahrzeug sofort freie Bahn zu schaffen, ein Bußgeld von 240 Euro und zugleich ein Fahrverbot von einem Monat verhängt sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht wegen des fahrlässigen Verstoßes gegen das Bilden einer Rettungsgasse zur Durchfahrt eines mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht herannahenden Einsatzfahrzeuges mit Behinderung gemäß §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO, [zu ergänzen: 1 Abs. 1 und 2, 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Anlage I Nr. 50.1 BKat]; §§ 24 [zu ergänzen: Abs. 1], 25 Abs. 2a StVG auf dieselben Rechtsfolgen wie im Bußgeldbescheid erkannt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit einer ausgeführten Sachrüge. Er verweist u.a. den Schuldspruch betreffend auf einen Darstellungsmangel hinsichtlich der Annahme des stockenden und teilweise zum Stillstand gekommenen Verkehrs und hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches auf das nicht ausgeübte Ermessen des Tatgerichts zur Beschränkung des Fahrverbotes auf bestimmte Fahrzeugarten, was sich nach Auffassung der Verteidigung bei einem als selbständig arbeitenden Bauleiter aufgedrängt hätte.

II.

Der Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt der Erfolg versagt.

Weder der Schuldspruch noch der Rechtsfolgenausspruch weisen durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Beweiswürdigung im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Wie bereits der Verteidiger hervorgehoben hat, ist die Regelung des § 11 Abs. 2 StVO durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung vom 30. November 2016 (BGBl I 2016, 2848) mit Wirkung von 14. Dezember 2016 geändert worden. Hintergrund war der bislang verwendete unbestimmte Rechtsbegriff „Stockender Verkehr“, der für die Verkehrsteilnehmer in eine einprägsame und leicht verständliche Verhaltensregel überführt worden ist. Nach dem neu gefassten Tatbestand des § 11 Abs. 2 StVO ist eine Rettungsgasse bei stehenden oder nur Schrittgeschwindigkeit fahrenden Fahrzeugen u.a. auf der Autobahn zu bilden. Dagegen hat der Betroffene verstoßen. Denn nach den gerichtlichen Feststellungen befuhr er den mittleren Fahrstreifen der BAB. Es hatte sich bereits eine Rettungsgasse zwischen dem von ihm befahrenen Fahrstreifen und dem linken Fahrstreifen gebildet, als er seinen Fahrstreifenwechsel von dem mittleren in den linken Fahrstreifen einleitete. Er war aber nicht in der Lage, diesen zu beenden und blockierte daher die Rettungsgasse für das herannahende mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht fahrenden Einsatzfahrzeug der Polizei mit der Folge, dass dieses seine Geschwindigkeit auf 1 km/h reduzieren und das schräg in der Gasse stehende Fahrzeug des Betroffenen umfahren musste (UA S. 6). Diese Feststellungen zur tatsächlichen Verkehrslage lassen den von Gericht gezogenen Schluss zu, dass die Fahrzeugkolonne auf der linken Spur entweder „stockte“ oder „teilweise zum Stillstand“ gekommen war (UA S. 3).

Als stockender Verkehr wird nach dem Willen des Verordnungsgebers eine sich nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegende Fahrzeugkolonne bezeichnet. Der Begriff Schrittgeschwindigkeit ist nicht gesetzlich definiert. Er wird in der Rechtsprechung unterschiedlich bestimmt (vgl. zum Streitstand: König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. § 42 StVO Rn. 181 m.w.N.). Das OLG Hamm hat den Streitstand in seinem Beschluss vom 28. November 2019 (III-1 RBs 220/19 –, juris)  zutreffend wie folgt dargestellt: Während etliche bzw. möglicherweise auch eine überwiegende Anzahl von Obergerichten den Begriff der Schrittgeschwindigkeit in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil mit maximal 7 km/h definieren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2018 – 2 Rb 9 Ss 794/17 -, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Mai 2005 – 1 Ss (Owi) 86 B/05 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 22. Januar 1985 – 1 Ss 782/84 -, juris), wird in anderen obergerichtlichen Entscheidungen auch ein Wert von max. 10 km/h benannt (vgl. Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. März 2017 – 2 Ws 45/17 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 2012, III-5 RBs 18/12; OLG Hamm, Urteil vom 13. Oktober 1953, VRS 6 S. 222 f.) Im Einklang mit dem Verordnungsgeber (König a.a.O. Rn. 147) wird auch vertreten, dass die Schrittgeschwindigkeit deutlich unter 20 km/h liegen muss. Einer abschließenden Entscheidung des Senates bedarf es dazu nicht, da nach der den Urteilsgründen zu entnehmenden tatsächlichen Verkehrslage jedenfalls von einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 7 km/h der sich auf dem linken Fahrstreifen bewegenden Fahrzeugen auszugehen oder der Verkehr auf diesem Fahrstreifen sogar ganz zum Erliegen gekommen war.

Denn dem Betroffenen war es nicht möglich, sich mit seinem PKW in die Fahrzeugkolonne auf dem linken Fahrstreifen zügig einzuordnen, vielmehr ragte sein PKW schräg zur Fahrbahn in die Rettungsgasse hinein, so dass das diese Gasse nutzende Einsatzfahrzeug unter Nutzung des mittleren Fahrstreifens um das Auto des Betroffenen herumfahren musste.”


OWi I: Verteidigervollmacht, oder: Unwirksame Beschränkungen der Zustellungsvollmacht

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Und dann heute gleich noch einmal ein OWi-Tag. Ich habe derzeit dazu viel Material, nachdem das KG wieder im 21. Jahrhundert angekommen ist und (nach)liefert. Und so gibt es dann auch wieder zwei KG-Beschlüsse und einen Beschluss vom BayObLG.

Mit dem BayObLG, Beschl. v. 11.02.2020 – 202 ObOWi 38/20 – mache ich den Anfang. Er nimmt Stellung zur Wirksamkeit der Einschränkung der Verteidigervollmacht für Zustellungen (im Bußgeldverfahren) und führt zur Begründung seiner Auffassung, dass diese unwirksam sind, aus:

“2. Zugleich mit Blick auf die zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 09.01.2020 abgegebene Stellungnahme der Verteidigung vom 04.02.2020 bemerkt der Senat ergänzend:

a) Entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung ist – wovon das Amtsgericht zutreffend ausgeht – keine Verfolgungsverjährung eingetreten, nachdem die sog. ‚kurze‘ Verjährungsfrist von drei Monaten zunächst am 27.11.2018 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG (Anordnung der Betroffenenanhörung) und sodann durch Erlass des Bußgeldbescheids am 11.02.2019 und seiner Zustellung an den Verteidiger des Betroffenen am 13.02.2019 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG jeweils wirksam unterbrochen wurde. Insbesondere scheitert die Annahme der Unterbrechenswirkung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG nicht etwa daran, dass der Bußgeldbescheid – wie die Verteidigung meint – aufgrund der sich in den Akten befindlichen Vollmacht und der dort ausdrücklich aufgenommenen und durch Fettdruck hervorgehobenen Ausnahme u.a. für die „Empfangsvollmacht […] für […] Bußgeldbescheide“ (konstitutiv) ausgeschlossen und der Bußgeldbescheid deshalb nicht wirksam an die Verteidigung zugestellt werden konnte. Vielmehr erweist sich diese Ausnahme mit der der Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO entsprechenden Bestimmung des § 51 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz OWiG auch im Bußgeldverfahren insoweit als unvereinbar und deshalb ohne weiteres als unwirksam, als mit ihr (oder auch durch entsprechende Streichungen innerhalb einer an sich unbeschränkten Vollmachtsurkunde) von vorneherein ein vollständiger Entzug oder – wie hier – eine Begrenzung des vom Willen des Betroffenen unabhängigen, weil gesetzlichen Umfangs der sich allein aus der Stellung des Verteidigers – hier als Wahlverteidiger – ergebenden Zustellungsvollmacht herbeigeführt würde (st.Rspr.; vgl. schon BayObLG, Beschl. v. 04.07.1969 – 1 b St 161/69 = BayObLGSt 1969, 110, 111 f.; ferner OLG Dresden, Beschl. v. 10.05.2005 – Ss [OWi] 309/05 = NStZ-RR 2005, 244 = DAR 2005, 572 = BeckRS 2005, 5821 = VRS 108 [2005], 439; OLG Köln, Beschl. v. 02.04.2004 – Ss 126/04 = NJW 2004, 3196 = NStZ 2004, 647 = NZV 2004, 595 = VRS 107 [2004], 295 = BeckRS 9998, 36347; OLG Jena, Beschl. v. 06.06.2001 – 1 Ss 126/01 = NJW 2001, 3204 = OLGSt OWiG § 51 Nr 2 = VRS 101 [2001], 123 = StraFo 2001, 413 und zuletzt OLG Hamm, Beschl. v. 18.03.2019 – 1 RBs 42/19 bei juris; ferner LR/Lüderssen StPO 26. Aufl., § 145a Rn 2; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 145a Rn. 2; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 51 Rn. 44a; KK/Lampe OWiG 5. Aufl. § 51 Rn. 83 und KK/Willnow StPO 8. Aufl. § 145a Rn. 1; jeweils m.w.N.). Eine andere Sicht erwiese sich mit dem Gesetzeszweck, nämlich der im Interesse der Schaffung von Rechtssicherheit gebotenen Klarheit darüber, wann eine Zustellung an den Verteidiger des Angeklagten oder – wie hier – des Betroffenen gegen diesen wirkt, unvereinbar (BayObLG a.a.O.). Aus alledem folgt, dass es auf weitere Erwägungen, etwa zur Frage einer nach den Gesamtumständen auch rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht oder einer etwaigen Rechtsmissbräuchlichkeit des Verteidigungsvorbringens zur vermeintlich unwirksamen Zustellung aufgrund bestimmter verfahrensrechtlicher Konstellationen (sog. ‚Verjährungsfalle‘) nicht ankommt.”

Überrascht nicht wirklich. Oder?

OWi II: “Freiebahnschaffen”, oder: “ich habe das Martinshorn nicht gehört”

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In der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den KG, Beschl. v. 18.02.2020 – 3 Ws (B) 11/20. In ihm geht es um das sog. Freiebahnschaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO) zur Durchfahrt eines mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht herannahenden Einsatzfahrzeuges auf der BAB. Der Betroffene hatte sich gegen den ihm zur Last gelegten Verstoß damit “gewehrt”, dass er sich dahin eingelassen hatte, er habe das Martinshorn nicht gehört. Das hat ihm beim KG nicht geholfen:

“Der Senat hat lediglich folgendes anzumerken:

Nach § 38 Abs. 1 StVO hat jeder Verkehrsteilnehmer unmittelbar, nachdem er das Blaulicht und das Einsatzhorn wahrgenommen hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen können, sofort freie Bahn zu schaffen. Demnach muss der Betroffene dafür Sorge tragen, dass er das Einsatzhorn rechtzeitig hören kann (vgl. KG NZV 1992, 456). Im Falle von eingeschränkter oder gar fehlender Wahrnehmbarkeit des Einsatzhorns durch den Betroffenen in Folge körperlicher Einschränkungen oder – wie hier – der Eigengeräusche des Fahrzeuges (UA S. 3)  ist dies stets durch eine besonders aufmerksame Beobachtung der Verkehrslage auszugleichen (vgl. Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. § 38 StVO, Rn.18_1). Dass der Betroffene dem nachgekommen ist, hat weder er selbst behauptet, noch ist dies den allein maßgeblichen Urteilsgründen zu entnehmen.”

OWi III: Fahrverbot nach sog. qualifiziertem Rotlichtverstoß, oder: Konkret abstrakt gefährlich?

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Und die dritte Entscheidung des Tages, der KG, Beschl. v. 14.04.2020 – 3 Ws (B) 46/20 –, nimmt dann zur Frage der Verhängung eines Fahrverbotes beim sog. Qualifizierten Rotlichtverstoß Stellung. Das KG gibt seine frühere Rechtsprechung zu der Frage des Absehens vom Fahrverbot bei einem konkret nicht abstrakt gefährlichen Rotlichverstoß auf.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1.  Bei dem Begriff der „abstrakten Gefahr“ handelt es sich um einen Terminus der Rechtsetzung, nicht um einen solchen der Rechtsanwendung.

2. Versuche, den Anwendungsbereich der Nr. 132.3 BKat mit dem Erfordernis einer konkret bestimmbaren „abstrakten Gefährlichkeit“ zu reduzieren, sind systematisch unzulässig, weil sie in die Kompetenz des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu kodifizieren, eingreifen.

3. Es verbietet sich, allein unter dem Gesichtspunkt, ein Rotlichtverstoß sei nicht „abstrakt gefährlich“, vom indizierten Fahrverbot abzusehen (Aufgabe bisheriger Rechtsprechung, KG VRS 114, 60).

4. Von dieser Bewertung bleibt das Rechtsfolgeermessen des Tatrichters unberührt. Er ist befugt und veranlasst, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre.

“Rest” bitte im Volltext selbst lesen.

Rechtsmittel II: Der sich selbst verteidigende Rechtsanwalt, oder: Rechtsmittelbegründung?

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Die zweite Entscheidung kommt vom KG. Das hatte im KG, Beschl. v. 12.03.2020 – 3 Ws (B) 55 – 56/20 – über folgenden verfahrensrechtlichen Sachverhalt zu entscheiden:

Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid erlassen, gegen den der Betroffene Einspruch eingelegt hatte. Zu dem auf den Einspruch festgelegten Hauptverhandlungstermin am 06.11.2019 ist der Betroffene, der zugelassener Rechtsanwalt ist und nicht von seiner Präsenzpflicht entbunden war, trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen.

Gegen das dem Betroffenen am 14.11.2019 zugestellte Urteil, mit dem das Gericht seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hatte, hat der Betroffene einen von ihm selbst unterzeichneten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und diesen mit Hinweis auf eine unzulässige Doppelahndung begründet. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 27.12.2019 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, weil die Beschwerdeanträge nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet worden seien. Der Betroffene hat einen Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gestellt. Zur Begründung trägt er vor, dass er als zugelassener Rechtsanwalt die Beschwerdeanträge unterschrieben und damit dem Formerfordernis nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO entsprochen habe.

Dazu das KG:

“1. Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig, insbesondere rechtzeitig und begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 27. Dezember 2019 war aufzuheben.

Der Betroffene hat – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – rechtzeitig den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und begründet. Denn das in Abwesenheit des Betroffenen ergangene Urteil vom 6. November 2019 ist ihm ausweislich der Zustellungsurkunde am 14. November 2019 zugestellt worden. Der Betroffene hat mit bei Gericht am 20. November 2019 eingegangenem Schreiben die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Der Umstand, dass er den Antrag selbst begründet und unterschrieben hat, steht den Formerfordernissen nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 345 Abs. 2 StPO nicht entgegen, weil es sich bei dem Betroffenen um einen zugelassenen Rechtsanwalt handelt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 345 Rn. 13).”

Ergangen ist die Entscheidung im Bußgeldverfahren. Gilt natürlich auch für das Strafverfahren.

In der Sache hatte die Rechtsbeschwerde dann keinen Erfolg. Darauf komme ich zurück.

Rechtsmittel III: Rechtsmittelbegründung durch den “Einvernehmensanwalt”, oder: Zulässig

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Und die dritte und letzte Entscheidung am heutigen Tag kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 02.12.2019 – 201 ObOWi 1817/19 – aus Bayern. Thematik: Rechtsbeschwerdebegründung durch den sog. Einvernehmensanwalt. Eine Thematik, mit der man nicht jeden Tag zu tun hat, aber immer mal wieder.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

“Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat gegen den in Österreich wohnhaften deutschen Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes (Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h) erlassen und dabei eine Geldbuße von 360 EUR sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dieser Bußgeldbescheid ist am 28.09.2018 an den in Österreich zugelassenen Rechtsanwalt M mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Mit am 08.10.2018 eingegangenem Schriftsatz hat der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Er hat im Laufe des Verfahrens eine schriftliche Verteidigervollmacht vom 21.07.2018 vorgelegt, die ihn auch ausdrücklich dazu ermächtigt, Klagen und andere behördliche Schriftstücke entgegenzunehmen. Die Hauptverhandlung am 11.04.2019 fand in Abwesenheit des Betroffenen statt. Das Amtsgericht hat den Betroffen entsprechend dem Bußgeldbescheid schuldig gesprochen und gegen ihn die im Bußgeldbescheid vorgesehenen Rechtsfolgen festgesetzt. Dieses mit Gründen versehene Urteil ist auf richterliche Anordnung vom 29.04.2019 dem Verteidiger am 10.05.2019 mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt worden. Rechtsanwalt M hat darauf mit Schriftsatz vom 16.05.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 10.06.2019, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, wobei die Rechtfertigungsschrift allein von Rechtsanwalt M unterzeichnet ist.”

Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen. Das BayObLG sieht die Zustellung des Bußgeldbescheides und des Urteils des Amtsgerichts an den Verteidiger als wirksam an, § 31 EuRAG stehe dem nicht entgegen.

Aber:

2. Die Rechtsbeschwerde erweist sich allerdings als unzulässig, weil sie unter Verstoß gegen § 345 Abs. 2 StPO i.Vm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG nicht in einer von einem Verteidiger oder einem im Geltungsbereich der StPO zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts begründet worden ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15.12.2017 – 3 Ss OWi 1702/17 bei juris; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 345 Rn. 12 m.w.N.). Der hier tätige Verteidiger mit Kanzleisitz in Österreich erfüllt diese Voraussetzung nicht und er hat auch entgegen der gesetzlichen Regelung keinen sog. Einvernehmensanwalt eingeschaltet.

a) Ein europäischer Rechtsanwalt darf vorübergehend in Deutschland Tätigkeiten eines Rechtsanwalts ausüben, § 25 Abs. 1 EuRAG. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Zusammenhang mit der Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege grundsätzlich die Stellung eines (deutschen) Rechtsanwalts, § 27 Abs. 1 Satz 1 EuRAG. Allerdings darf der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, in denen der Mandant sich nicht selbst verteidigen kann, als Verteidiger eines Mandanten nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln, § 28 Abs. 1 EuRAG. Damit ist nicht nur der Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 StPO gemeint. Vielmehr wird hiervon auch die Begründung der Rechtsbeschwerde erfasst (vgl. LR/Franke StPO 26. Aufl. § 345 Rn. 19; OLG Bamberg a.a.O.). Der Einvernehmensanwalt muss zur Vertretung oder Verteidigung bei dem Gericht befugt sein (§ 28 Abs. 2 Satz 1 EuRAG).

Auch wenn nach § 28 EuRAG die Gestaltung des Verfahrens dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt obliegt (vgl. Henssler/Prütting BRAO 5. Aufl. § 28 EuRAG Rn. 4), so ist es Aufgabe des Einvernehmensanwalts gem. § 28 Abs. 2 Satz 2 EuRAG, gegenüber dem dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass dieser bei der Verteidigung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet. Die Gesetzesbestimmung lässt keine Ausnahmen zu. Dementsprechend muss auch ein der deutschen Sprache mächtiger und im deutschen Verfahrensrecht sachkundiger österreichischer Rechtsanwalt zwingend im Einvernehmen mit einem deutschen Rechtsanwalt bei der Fertigung der Rechtsbeschwerdebegründung handeln. Da Rechtsanwalt M vorliegend das Einvernehmen eines deutschen Rechtsanwaltes weder behauptet noch gem. § 29 Abs. 1 EuRAG dieses Einvernehmen schriftlich gegenüber dem Gericht nachgewiesen hat, liegt keine formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde gem. § 345 Abs. 2 StPO i.Vm. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 29 Abs. 3 EuRAG vor.

Wie § 28 Abs. 2 Satz 2 EuRAG klarstellt, hat der Einvernehmensanwalt entgegen den Ausführungen in der Gegenerklärung der Verteidigung vom 18.11.2019 nicht die Funktion, nur eine Pro-Forma-Unterschrift zu leisten. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung von Art. 5 der Richtlinie des Rates vom 22.03.1977 (77/249/EWG) davon Gebrauch gemacht, es einem Rechtsanwalt als Bedingung aufzuerlegen, dass er im Einvernehmen mit einem beim angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt handeln muss. Der Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 4 Abs. 1 des Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetzes (RADG), der der Nachfolgebestimmung des § 28 Abs. 1 EuRAG inhaltlich entspricht, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25.02.1988 (Rs 427/85 = NJW 1988, 887) beachtet, wonach es gegen die vorgenannten Richtlinie verstößt, wenn der dienstleistende europäische Rechtsanwalt dazu verpflichtet wird, im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, selbst wenn nach deutschem Recht kein Anwaltszwang besteht (vgl. BT-Drucksache 11/4793, Begründung zu § 4). Dementsprechend stehen der genannten Regelung auch keine europarechtlichen Bedenken entgegen.

b) Der Betroffene hat eine Genehmigung des Gerichts, Rechtsanwalt M als Verteidiger nach § 138 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zuzulassen, nicht beantragt. Zudem konnte Rechtsanwalt M gem. § 138 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ohnedies nicht allein zum Verteidiger bestellt werden.

c) Der Senat setzt sich auch nicht in Widerspruch zu den Beschlüssen des Oberlandesgerichts Köln vom 31.01.2017 (Az. III – 1 RBs 302/16) und vom 14.02.2017 (Az. III – 1 RBs 31/17), da dort ohne nähere Begründung lediglich ausgeführt wird, dass der Verteidiger mit Kanzleisitz in Österreich für eine eingelegte Rechtsbeschwerde postulationsfähig im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 2 StPO sei. Es lässt sich aber nicht entnehmen, ob es sich nicht um einen im Sinne von § 2 EuRAG niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt handelt. Im Übrigen steht die vorliegende Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Beschluss des Bundesfinanzhofes (BFH, Beschluss vom 11.07.2013 – III R 31/12 bei juris) und des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 15.06.2010 – B 13 R 172/10 B – bei juris), die bei bestehendem Anwaltszwang das Erfordernis eines Einvernehmensanwaltes bestätigt haben.

3. Es besteht auch kein Anlass, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Der Betroffene hat diese nicht beantragt, § 45 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde unverändert nicht vorliegt, § 45 Abs. 2 S. 2, 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.”

OWi I: Verantwortlichkeit des Betriebsleiters einer Zweigniederlassung, oder: Urteilsgründe

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Heute dann ein OWi-Tag, aber nicht mit straßenverkehrsrechtlichen OWis, sondern mit Verstößen aus anderen Bereichen. Häufig wird ja übersehen, dass Bußgeldverfahren eben nicht nur den Straßenverkehr betreffen.

Und ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 19.02.2020 – 3 Ws (B) 25729 – zur Verantwortlichkeit des Betriebsleiters einer Zweigniederlassung. Gegen den Betroffenen ist von der Verwaltungsbehörde als Geschäftsführer und Betriebsleiter einer GmbH wegen nicht ordnungsgemäßen Betreibens einer Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (Lagerung) gemäß §§ 17 Abs. 1 Nr. 3, 65 Nr. 14 AwSV i.V.m. § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a WHG eine Geldbuße von 1.600 EUR verhängt worden. Das AG hat den Betroffenen dann auch verurteilt, allerdings die Geldbuße auf 1-000 EUR reduziert.

Das KG hat aufgehoben. Ihm haben die Urteilsgründe nicht gefallen:

“Die Überzeugung des Gerichts von der Verantwortlichkeit des Betroffenen und dessen vorsätzlicher Begehung der Ordnungswidrigkeit ergibt sich weder aus der den Vorwurf bestreitenden Einlassung des Betroffenen noch aus den Bekundungen der Zeugen noch aus der Gesamtheit der Urteilsgründe. Der Senat wird nicht in die Lage versetzt, die Wertung des Gerichts nachzuvollziehen.

Den in den Urteilsgründen dargestellten Bekundungen der Zeugen sind die dem Betroffenen zugeschriebenen Handlungen der Mängelbeseitigung und seiner Kenntnis zu den am 15. Januar 2019 festgestellten Mängeln nicht zu entnehmen. Zwar ist es denkbar, dass das Gericht aufgrund der Schilderung der „Vorgeschichte“ durch die Zeugen auch auf diese Feststellungen geschlossen hat, aber aus den weiteren Urteilsdarlegungen erscheint es naheliegender, dass mit der „Vorgeschichte“ lediglich die Angaben der  Zeugen zur Vorkontrolle vor Weihnachten 2018 gemeint war, bei der sie aber nach den Urteilsgründen keinen Verantwortlichen auf dem Gelände angetroffen haben. Die Bekundungen ergeben des Weiteren nicht, ob und in welcher Funktion die Zeugen mit dem Betroffenen in der Zeit zwischen seinem Arbeitsbeginn am 1. Juni 2018 bis zur verfahrensgegenständlichen Kontrolle am 15. Januar 2019 Kontakt hatten, was dem Gericht Rückschlüsse auf seine tatsächliche Leitungsfunktion für die Niederlassung erlaubt hätte. Offensichtlich fußen die gerichtlichen Schlussfolgerungen auf der Beschäftigung des Betroffenen als „Betriebsleiter“. Aber allein die Bezeichnung „Betriebsleiter“ ist nicht entscheidend (vgl. Gürtler in Göhler OWiG, 17. Aufl. § 9 Rn. 19). Auch wenn die Bezeichnung als Indiz gewertet werden kann, bedarf es dennoch ausreichender Feststellungen dazu, ob dem Betroffenen die Leitung und nicht nur die Aufsicht des Betriebes verantwortlich übertragen worden ist und er dementsprechend auch tatsächlich selbstständig anstelle des Betriebsinhabers gehandelt hat (Rogall in KK OWiG, 5. Aufl. § 9 Rn. 84). Diese sind dem Urteil auch nicht unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Urteilsgründe zu entnehmen. Auch wenn es nahe liegt, dass der Betroffene verantwortlich für die verfahrensgegenständliche vorsätzlich begangene Ordnungswidrigkeit ist, besteht derzeit nach den Urteilsgründen nicht mehr als ein erheblicher Verdacht.”

OWi II: Unerlaubte Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers, oder: Überlassungshöchstdauer

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Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 22.01.2020 – 201 ObOWi 2474/19 – zur unerlaubte Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers über 18 Monate hinaus beim selben Entleiher Stellung genommen.

Ich stelle hier dann nur die Leitsätze vor. Wer den Beschluss “ganz benötigt, bitte im Volltext nachlesen:

“1. Die Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers über 18 Monate hinaus bei demselben Entleiher stellt auch dann ordnungswidriges Verhalten des Verleihers nach §§ 1 Abs. 1b Satz 1, 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG dar, wenn der Leiharbeitnehmer eine Festhalteerklärung abgegeben hat. Diese führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b 2.HS. AÜG lediglich dazu, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer entgegen § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für die Dauer von maximal weiteren 18 Monaten (zivilrechtlich) wirksam bleibt.

2. Die in § 1 Abs. 1b AÜG geregelte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten greift weder in unzulässiger Weise in die Grundrechte von Verleihern nach Art. 12 Abs. 1 GG ein noch steht ihrer Wirksamkeit die Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit des Verleihers (Art. 49, 56 AEUV) entgegen.

3. Beruht die gleichzeitige (weitere) Überlassung mehrerer Leiharbeitnehmer an denselben Entleiher auf einem einheitlichen Tatentschluss, so liegt die Annahme von Tateinheit i. S. d. § 19 OWiG nahe.


OWi III: Eine Bäckerei als Nebenleistung einer Gaststätte, oder: Bienenstich und Berliner

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Das AG hat den Betroffenen wegen zweier vorsätzlich begangener Verstöße gegen §§ 4 Abs.1 Nr. 3, 9 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BerlLadÖffG zu zwei Geldbußen von jeweils 2.000 EUR verurteilt. Es war davon überzeugt, dass es der Betroffene als Inhaber einer unter seinem Namen firmierenden Bäckereikette in einer Filiale in der S-Straße in Berlin-S. zugelassen und veranlasst hat, dass am 02.04.2018 (Ostermontag) und am 21.05.2018 (Pfingstmontag) Backwaren und Konditorartikel außer Haus verkauft wurden, u.a. ein Bienenstich und zwei Berliner Pfannkuchen. Bei der Filiale handelte es sich um ein Bäckereigeschäft mit erlaubnisfreiem Gaststättenbetrieb; hier wurden nach den Feststellungen des Amtsgerichts auch Back- und Konditorwaren sowie alkoholfreie Getränke serviert.

Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die mit dem KG, Beschl. v. 19.02.2020 – 3 Ws (B) 272/19 – Erfolg hatte.

“Der Betroffene hat sich, als er anordnete, dass an Oster- und Pfingstmontag Back- und Konditorwaren außer Haus verkauft werden, nicht ordnungswidrig verhalten. Die Verkäufe waren nach den Vorschriften des Gaststättengesetzes über den Straßenverkauf von Speisewirtschaften erlaubt. Das Verbot, an Ostermontag und Pfingstmontag Verkaufsstellen für Back- und Konditorwaren zu öffnen (§ 4 Abs. 3 BerlLadÖffG), galt zwar im Grundsatz auch für die Filiale des Betroffenen. Da er hier aber auch ein Gaststättengewerbe nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GastG betrieb, durften Backwaren als zubereitete Speisen als sog. Nebenleistung des Gaststättengewerbes nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 GastG „an jedermann über die Straße abgegeben“ werden.

1. Der Betroffene betrieb in der S-Straße eine dem GastG unterfallende Schank- und Speisewirtschaft.

a) Ein Gaststättengewerbe im Sinne des GastG betreibt, wer im stehenden Gewerbe Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht, wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GastG). Das Tatbestandsmerkmal des Verzehrs an Ort und Stelle erfordert einen räumlichen Zusammenhang zwischen der Abgabestelle und dem Ort, an dem das Getränk oder die Speise verzehrt werden soll, sowie einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Abgabe- und Verzehrzeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – I ZR 44/19 – mwN). Das Vorhalten von Sitzgelegenheiten spricht für einen Verzehr an Ort und Stelle, der vom Verzehr im Weitergehen abzugrenzen ist (vgl. Hickel/Wiedmann/Hetzel, Gewerbe- und Gaststättenrecht 139. Lieferung, § 1 GastG Rn. 10).

Nach diesen Maßstäben stellt sich das vom Betroffenen in der S-Straße betriebene Gewerbe in Bezug auf die Abgabe von Speisen und Getränken, die zum Verzehr in oder vor der Filiale bestimmt sind, als Gaststätte dar. Die Filiale hatte innen und außen Sitzgelegenheiten, auf denen im Geschäft erworbene Getränke und Speisen konsumiert wurden. Die Filiale verfügte auch über eine Gästetoilette.

b) Die damit betriebene Schank- oder Speisewirtschaft unterfiel dem GastG. Zwar betreibt der Betroffene im Rahmen eines gemischten Betriebs auch einen Einzelhandel mit Bäcker- und Konditorwaren, der sich in Bezug auf die Öffnungszeiten nach dem LadÖffG richtet. Dies steht der Anwendung des Gaststättenrechts aber nicht entgegen. In einem solchen Fall behalten die zu einem einheitlichen Gesamtbetrieb vereinigten verschiedenen Gewerbe ihre rechtliche Eigenständigkeit. Dies hat zur Folge, dass der Einzelhandel den gesetzlichen Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes, die Schank- oder Speisewirtschaft hingegen ausschließlich dem Gaststättenrecht unterliegt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – I ZR 44/19 – mwN). Für die gaststättenrechtliche Einordnung im Rahmen eines Mischbetriebs ist es dabei unerheblich, in welchem Umfang nach den konkreten Gegebenheiten die Ausprägung als Einzelhandel oder Gaststätte überwiegt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – I ZR 44/19 – mwN: BVerwG NJW 1960, 2209; VGH Baden-Württemberg GewArch 2015, 269).

2. Zwar war der Betrieb des Einzelhandels an Oster- und Pfingstmontag landesrechtlich, nämlich durch § 4 Abs. 3 BerlLadÖffG, untersagt. Der durch das Amtsgericht beanstandete Verkauf durfte aber als sog. Nebenleistung des Gaststättengewerbes außerhalb der nach § 18 GastG landesrechtlich verordneten Sperrzeiten und ohne Bindung an die gesetzlichen Bestimmungen über den Ladenschluss erfolgen. Er war nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 GastG erlaubt, weil es sich um im Betrieb verabreichte „zubereitete Speisen“ handelte, die zum „alsbaldigen Verzehr“ … „an jedermann über die Straße abgegeben“ werden dürfen.

Bei den beanstandeten Verkäufen – Back- und Konditorwaren – handelt es sich um zum alsbaldigen Verzehr bestimmte zubereitete Speisen im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 GastG.

Zubereitete Speisen im Sinne dieser Vorschriften sind alle essfertig gemachten Lebensmittel, ohne dass es auf den bei der Zubereitung betriebenen Aufwand ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2019 – I ZR 44/19; OLG Celle, NStZ 1985, 33). Sie sind abzugrenzen von solchen Lebensmitteln, die, wie etwa Obst, schon an sich verzehrfertig sind (vgl. Ambs in Erbs/Kohlhaas, aaO, § 1 GastG Rn. 18). Für die Beurteilung der Verzehrfertigkeit ist auf die Verkehrsanschauung abzustellen (vgl. OLG Celle NStZ 1985, 33; Ambs in Erbs/Kohlhaas aaO § 1 GastG Rn. 18; für die Einordnung von Brot oder Brötchen als zubereitete Speisen Hickel/Wiedmann/Hetzel aaO § 7 GastG Rn. 4).

Der Bundesgerichtshof hat in einem zivilrechtlichen Revisionsurteil (vom 19. Oktober 2019 – I ZR 44/19 –) jüngst die tatrichterliche (vgl. OLG München GRUR-RR 2019, 227) Würdigung, dass es sich bei unbelegten Brötchen, Brezeln und Broten um „zubereitete Speisen“ im gaststättenrechtlichen Sinn handele, unbeanstandet gelassen und sich dieser Bewertung unter Verweis auf die Verkehrsanschauung angeschlossen. Der Senat des Bundesgerichtshofs hat ausgeführt:

„Entgegen der Ansicht der Revision ist die Annahme, bei unbelegten Brötchen und Brot handele es sich um durch den Backvorgang essfertig gemachte und verzehrfertige Lebensmittel, unbeschadet des von der Revision angeführten Umstands nicht denkgesetz- oder erfahrungswidrig, dass sie einem weiteren Zubereitungsprozess zugänglich sind. Zwar kann die Notwendigkeit einer weiteren Bearbeitung der Einordnung als zubereitete Speise im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 2 Nr. 1 GastG entgegenstehen. Dies gilt jedoch nicht, wenn es sich um Bearbeitungen handelt, die Gäste üblicherweise auch selbst vornehmen (vgl. Ambs in Erbs/Kohlhaas aaO § 1 GastG Rn. 18; Assfalg aaO § 1 Rn. 41). Dazu zählt etwa das Anrichten eines Salats, aber auch – wie im Streitfall – das Aufschneiden, Belegen oder Bestreichen eines Brötchens oder Brotes. (…) Soweit die Revision in diesem Zusammenhang bemängelt, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass nicht der Gastwirt, sondern der Bäcker Brot oder Brötchen herstelle, verhilft ihr dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 1 GastG kommt es nicht darauf an, ob die abgegebene Speise in der Speisewirtschaft oder andernorts zubereitet worden ist. Die Erlaubniswirkung knüpft an die Verabreichung der zubereiteten Speise in der Gaststätte, nicht an deren dortige Zubereitung an (vgl. Ambs in Erbs/Kohlhaas aaO § 1 GastG Rn. 18; Assfalg aaO § 1 Rn. 41).“

Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gibt dem hier erkennenden Senat Anlass, diese überaus weite und gewiss diskussionswürdige Einschätzung des Bundesgerichtshofs auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Danach sind auch die hier verkauften Backwaren als „zubereitete Speisen“ im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 GastG zu bewerten. Der durch das Amtsgericht beanstandete Verkauf stellt sich damit als erlaubte Nebenleistung des Gaststättengewerbes dar und verstößt nicht gegen das – insoweit nachrangige – BerlLadÖffG.”

Nochmals: Ausdruck einer elektronischen Akte zur Akteneinsicht, oder: Keine Aktenversendungspauschale

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Die zweite Entscheidung des Tages zum Gebühren-/Kostenrecht kommt dann vom AG Idar-Oberstein. Das hat sich im AG Idar-Oberstein, Beschl. v. 15.05.2020 – 5 OWi 73/20 – mit der vor allem für Bußgeldverfahren in Rheinland-Pfalz bedeutsamen Frage des Anfalls der Aktenversendungspauschale bei Übersendung eines Ausdrucks der elektronisch geführten Akte  zur Akteneinsicht befasst.

Gegen den Betroffene wurde seitens des Polizeipräsidiums Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle (nachfolgend: Bußgeldstelle) – ein Verfahren wegen eines Verkehrsunfalls beim Einparken geführt. Der Verteidiger hatte schon bei der Polizeiinspektion Idar-Oberstein Akteneinsicht beantragt. Nach Abgabe der Staatsanwaltschaft an die Bußgeldstelle, gewährte die Bußgeldstelle in Form von ausgedruckten Kopien der elektronischen Akte Akteneinsicht. Für die Aktenversendung wurde eine Auslagenpauschale von 12,00 Euro erhoben.

Das AG hat den Anfall – ebenso wie einige andere AG in Rheinland-Pfalz – verneint:

“Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Es fehlt im Hinblick auf den durch die Bußgeldstelle an den Verteidiger übersandten Aktenausdrucks derzeit an einer Grundlage für die Auslagenfestsetzung.

Gemäß § 107 Abs. 5 S. 1 OWiG kann von demjenigen, der die Versendung von Akten beantragt, je durchgeführte Sendung einschließlich der Rücksendung durch Behörden pauschal 12 Euro als Auslagen erhoben werden. Wird die Akte elektronisch geführt und erfolgt ihre Übermittlung elektronisch, wird eine Pauschale nicht erhoben, § 107 Abs. 5 S. 2 OWiG.

Die elektronische Führung der Akten erfolgt bei der Bußgeldstelle trotz fehlender Rechtsgrundlage (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.07.2018 -1 OWi 6 SsBs 19/18). Bisher fehlt es im Landesrecht von Rheinland-Pfalz an einer Rechtsgrundlage, die eine elektronische Aktenführung durch die Verwaltungsbehörde ermöglicht. Eine Rechtsverordnung auf Grundlage der Verordnungsermächtigungen in § 110a Abs. 1 OWiG n.F. ist bisher nicht erlassen worden.

Insofern ist die Aktenführung bei der Zentralen Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, wo alle verfahrensrelevanten Dokumente zunächst nur digital vorhanden sind und erst bei Bedarf ausgedruckt werden, derzeit rechtswidrig: Nichts anderes gilt hier, auch wenn die Akte zum Zeitpunkt des Akteneinsichtsersuchens noch in Papierform bei der Polizei/der Staatsanwaltschaft geführt wurde. Erfolgt ist die Akteneinsicht erst durch die Bußgeldstelle, welche zum Zeitpunkt der Gewährung der Akteneinsicht die Akte bereits elektronisch führte, ohne dass hierfür eine Rechts-grundlage vorliegt. Die Übersendung eines Ausdrucks einer insofern ohne Rechtsgrundlage geführten elektronischen Akte kann keine Aktenversendungspauschale begründen, denn eine solche kann nur dann anfallen, wenn Einsicht in eine zulässigerweise und ordnungsgemäß geführte Akte gewährt wird (vgl. AG Trier, Beschluss vom 02. Februar 2020 — 35a OWi 1/20 —, juris m.w.N.). Infolgedessen war die Auslagenfestsetzung der Bußgeldstelle vom 08.04.2020 aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.”

Die Hinweise/Links zu Entscheidungen anderer AG, die die Problematik ebenso sehen, gibt es hier: Ausdruck einer elektronischen Akte/Akteneinsicht, oder: Aktenversendungspauschale.

Geldbuße I: Schwellenwert der Geldbuße bei 250 EUR, oder: Urteilsgründe

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Heute dann ein Tag mit “Geldbußenentscheidungen” nach dem OWiG. Das ist ja ein Bereich, der häufig ein wenig stiefmütterlich behandelt wird. Im Vordergrund der Verteidiung stehen ja meist die Fragen des Fahrverbots.

Gegenstand des OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.03.2020  – (1B) 53 Ss-OWi 110/20 (70/20) – ist ein Urteil des AG Neuruppin. Das hatte gegen den Betroffenen, “ohne Ankündigung und ohne dass die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben, […..] mit Beschluss vom 2. Dezember 2019, der überdies keine Gründe enthält, den Tatvorwurf der Ordnungswidrigkeit aus dem Bußgeldbescheid offenbar für gegeben erachtet und gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h auf eine Geldbuße von 450,00 erkannt.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Verteidigers, die Erfolg hatte. Dem OLG gefällt der Beschluss des AG nun gar nicht:

“Der angefochtene Beschluss ist auf die erhobene Sachrüge hin – unabhängig davon, dass er auch den nach § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG erforderlichen Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheids nicht enthält – schon deshalb aufzuheben, weil er die nach § 72 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht enthält. Danach muss die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG, mit dem eine Geldbuße festgesetzt wird, im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs.1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO an die Begründung eines nicht freisprechenden Urteils gestellt werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.10.2019 – Ss Bs 59/2019 (62/19 OWi) m.w.N.).

Das Fehlen von Gründen in einem Strafurteil zwingt in der Regel schon zur Urteilsaufhebung auf die Sachrüge hin (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 338 Rn. 52 m. w. N.). Auch ein Bußgeldurteil ist beim unzulässigen Fehlen von Urteilsgründen in der Regel schon auf die zulässig erhobene Sachrüge hin aufzuheben, weil dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Fall eine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler nicht möglich ist (vgl. OLG Saarbrücken aaO. m.w.N.; OLG Celle NZV 2012, 45 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 10.11.2011 – 3 Ss OWi 1444/11) . Ebenso unterliegt ein nach § 72 OWiG ergangener Beschluss beim Fehlen einer Begründung auf eine zulässig erhobene Sachrüge hin der Aufhebung im Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG nicht vorlagen, etwa weil – wie hier – nicht alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben.

c) Für die neue Entscheidung weist der Senat drauf hin, dass – ungeachtet der Tatsache, dass das Absehen von dem indizierten Fahrverbot trotz der Ausführungen im Anwaltsschriftsatz vom 21. August 2018 nicht nachvollziehbar ist – bei einer Geldbuße von mehr als 250,00 € gemäß § 17 Abs. 3 OWiG Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen erforderlich sein dürften.

Auch wenn an die Urteilsgründe in Ordnungswidrigkeitsverfahren keine hohen Anforderungen zu stellen sind, sind Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich (§ 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG). Zu den persönlichen (Unterhaltsverpflichtungen) und wirtschaftlichen Verhältnissen gehören die Umstände, die geeignet sind, die Fähigkeit des Täters zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße aufzubringen. Enthält der Beschluss bei einer nicht nur geringfügigen Ordnungswidrigkeit keine oder nur unzureichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, sind die Zumessungserwägungen materiell-rechtlich unvollständig und können der Aufhebung unterliegen (st. Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2012, 1 Ss (OWi) 71 B/12; Senatsbeschluss vom 30. März 2012, 1 Ss (OWi) 76 B/12; Senatsbeschluss vom 18. April 2012, 1 Ss (OWi) 81 B/12).

Die Wertgrenze einer nicht mehr “geringfügigen Ordnungswidrigkeit“, die die Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfordert, wird durch die überwiegende Mehrheit der Oberlandesgerichte in Anlehnung an die für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde maßgebliche Wertgrenze (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) bei über 250,00 Euro angenommen (vgl. OLG Celle NJW 2008, 3079; OLG Jena VRS 110, 443, 446; OLG Jena VRS 113, 351; OLG Köln ZfSch 2006, 116; OLG Düsseldorf NZV 2000, 426; OLG Düsseldorf NZV 2008, 161; KG VRS 111, 202; OLG Bamberg GewArch 2007, 389, 390; BayObLG DAR 2004, 594; OLG Zweibrücken NZV 1999, 219; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2010, 1 Ss (OWi) 109 B/10; Senatsbeschluss vom 16. März 2012, 1 Ss (OWi) 71 B/12; Senatsbeschluss vom 30. März 2012, 1 Ss (OWi) 76 B/12; Senatsbeschluss vom 18. April 2012, 1 Ss (OWi) 81 B/12, siehe auch Göhler, OWiG, 17. Aufl. § 17 Rn. 24; eine Mindermeinung setzt die Wertgrenze mit Blick auf § 80 Abs. 2 OWiG schon bei 100,00 € an: vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 214; OLG Hamm VRS 92, 40; OLG Hamm SchlHA 2004, 264).

Zu einer Schätzung der Einkommensverhältnisse oder zur Annahme durchschnittlicher Vermögensverhältnisse kann das Tatgericht jedoch dann kommen, wenn der Betroffene Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert oder das Gericht den Angaben dazu keinen Glauben schenken kann. In diesen Fällen dürfte in den Vordergrund rücken, dass den Bußgeldkatalogen durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse der Betroffenen zu Grunde liegen (vgl. Göhler, aaO., § 17 Rn. 29 m.w.N.).”

Und – ein wenig ungewöhnlich:

“Aufgrund der teils gravierenden Rechtsfehler macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Neuruppin zurückzuverweisen.”

Das ist eher die Ausnahme. Leuchtet mir hier aber nicht ein. Warum gibt das OLG dem Amtsrichter nicht die Möglichkeit zu zeigen, dass er es (nun) kann. 🙂 Der Kollege, der jetzt zuständig ist, wird im Übrigen auch nicht erfreut sein 🙂 .

 

Geldbuße II: Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse, oder: Schätzung, wenn der Betroffene schweigt

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Als zweite Entscheidung des Tages dann noch einmal der OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.12.2109 – (1 B) 53 Ss-OWi 675/19 (398/19). Auf den hatte ich schon einmal in Zusammenhang mit den Anforderungen an die richterliche Urteilsunterschrift hingewiesen (vgl. Nochmals: Die Urteilsunterschrift, oder: Welche Anforderungen müssen erfüllt sein?9.

Hier jetzt die Ausführungen des OLG zur Geldbuße. Die GStA hatte die als unzureichend angesehen, nachdem das AG eine Geldbuße von 440 EUR festgesetzt hatte. Anders das OL:

c) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg erweist sich auch der Rechtsfolgenausspruch sowohl hinsichtlich der erkannten Geldbuße als auch hinsichtlich des erkannten Fahrverbotes als frei von Rechtsfehlern.

aa) Der Generalstaatsanwaltschaft ist darin beizupflichten, dass zu den erörterungsbedürftigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz OWiG dem Grunde nach auch die Umstände gehören, die geeignet sind, die Fähigkeit des Täters zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße aufzubringen. Die Wertgrenze einer “geringfügigen Ordnungswidrigkeit“, bei der Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht erforderlich sind (§ 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG), wird durch die Oberlandesgerichte zwischenzeitlich unterschiedlich gezogen. Teilweise wird mit Blick auf § 80 Abs. 2 OWiG die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse dann für entbehrlich gehalten, wenn die Geldbuße 100 € nicht übersteigt (vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 214; OLG Hamm VRS 92, 40; OLG Hamm SchlHA 2004, 264), in Anlehnung an die für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde maßgebliche Wertgrenze (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) setzt eine große Mehrheit der Obergerichte die Wertgrenze bei über 250 Euro an (vgl. OLG Celle NJW 2008, 3079; OLG Jena VRS 110, 443, 446; OLG Jena VRS 113, 351; OLG Köln ZfSch 2006, 116; OLG Düsseldorf NZV 2000, 426; OLG Düsseldorf NZV 2008, 161; KG VRS 111, 202; OLG Bamberg GewArch 2007, 389, 390; BayObLG DAR 2004, 594; OLG Zweibrücken NZV 1999, 219; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2010 – 1 Ss (OWi) 109 B/10).

Die gegen den Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Urteil erkannte Geldbuße beträgt 440,00 Euro und liegt über dem Schwellenwert. Dennoch ist das Tatgericht zu einer Schätzung der Einkommensverhältnisse oder zur Annahme durchschnittlicher Vermögensverhältnisse dann berechtigt, wenn der Betroffene Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert oder das Gericht den Angaben dazu keinen Glauben schenken kann. In diesen Fällen dürfte in den Vordergrund rücken, dass den Bußgeldkatalogen durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse der Betroffenen zu Grunde liegen (vgl. Göhler, OWiG, 17. Aufl., Rdnr. 29 m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Mit dem Antrag des Betroffenen auf Entbindung von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung nach §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 1 OWiG, worauf der Betroffenen einen Anspruch hat, ist im Regelfall die Anerkennung der Fahrereigenschaft mit der Erklärung verknüpft, keine weiteren Angaben vor Gericht zu machen. Ein solcher Fall ist hier gegeben, so dass das Tatgericht von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen hatte ausgehen dürfen, indem es auf die Regelgeldbuße erkannt und überdies von einer Erhöhung des Geldbuße infolge der Vorbelastung abgesehen hat.

Geldbuße III: Geldbuße von 50.000,– EUR, oder: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit?

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Und als dritte Entscheidung zur Geldbuße nach dem OWiG dann noch der BayObLG, Beschl. v. 11.02.2020 – 201 ObOWi 2771/20.

Das AG hatte die Betroffene wegen Verstoßes gegen das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum zu einer Geldbuße von 50.000 EUR verurteilt. Dem BayObLG gefallen die Ausführungen des AG zur Geldbußenbemessung nicht:

b) Unbeschadet dieses nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs begegnet die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils aber durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen stellt es allerdings dar, dass die Tatrichterin vorliegend einen Bußgeldrahmen zugrunde legt, der bis zu 50.000 Euro reicht, obwohl sie von einem Tatzeitraum bis Anfang Juli 2017 ausgeht und die Erhöhung des Bußgeldrahmens auf 500.000 Euro in Art. 4 BayZwEWG zum 29.06.2017 in Kraft getreten ist (vgl. § 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 19.06.2017). Zwar ist gemäß § 4 Abs. 2 OWiG auf den Zeitpunkt der Beendigung der Tat abzustellen. Indes muss bei einer Dauerordnungswidrigkeit Beachtung finden, dass bei Erhöhung des Bußgeldrahmens während der Tatbegehung den Teilakten, die vor der Sanktionsverschärfung liegen, nur das Gewicht beigemessen werden darf, das ihnen vormals tatsächlich zukam (vgl. BayObLG NJW 1996, 1422 m.w.N. für eine Dauerstraftat). Auch wenn der Tatzeitraum bis Anfang Juli 2017 angedauert hat, kommt dem ganz geringen Teil der Dauerordnungswidrigkeit nach dem 29.06.2017 kein nennenswertes Gewicht zu.

bb) Wie die Tatrichterin zwar grundsätzlich zutreffend erkannt hat, sind gemäß § 17 Abs. 3 OWiG für die Zumessung der Geldbuße in erster Linie die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft, maßgeblich. Die Kriterien, die sie insoweit für die Bemessung der Geldbuße herangezogen hat, lassen für sich genommen keine Rechtsfehler erkennen. Auch wenn fehlerhaft formuliert wurde, dass die Betroffene sich durch „drei Bußgeldbescheide“ nicht habe beirren lassen, ergibt sich aus den Gesamtumständen der Urteilsfeststellungen hinreichend, dass es sich hierbei um Zwangsgelder gehandelt hat. Dass sich die Betroffene auch durch Zwangsgelder nicht von der weiteren Tatbegehung hat abhalten lassen, konnte unter dem Gesichtspunkt der Hartnäckigkeit Berücksichtigung finden (vgl. KK/Mitsch17 Rn. 64). Ebenso ist es rechtlich unbedenklich, die beträchtliche Dauer der zweckfremden Nutzung von Wohnraum als Zumessungskriterium zu berücksichtigen (vgl. KG, Beschl. v. 04.11.1999 – (4) 1 Ss 317/99 (130/99) bei juris für eine Dauerstraftat). Allerdings hätte das Amtsgericht bei seiner Sanktionsentscheidung berücksichtigen müssen, dass das Höchstmaß des Bußgeldrahmens für die denkbar schwersten Fälle vorgesehen ist, bei denen keine Milderungsgründe vorhanden sind (vgl. Göhler/Gürtler OWiG 17. Aufl. § 17 Rn. 25 m.w.N.). Schon im Hinblick auf fehlende einschlägige Vorahndungen durfte das Amtsgericht hiervon bei der Betroffenen nicht ausgehen.

cc) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken ist die Bußgeldbemessung aber vor allem deshalb ausgesetzt, weil sich die Feststellungen des Amtsgerichts zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen als lückenhaft erweisen und ihre tatsächliche wirtschaftliche Situation nicht hinreichend erhellen.

(1) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts lebt die Betroffene allein in einer 80 m² großen Eigentumswohnung mit Balkon, besitzt zwei Autos, jeweils in der Größe eines VW Polo, und hat im Übrigen zu ihren weiteren finanziellen Verhältnissen keine Angaben machen können, da sich sämtliche Unterlagen hierzu bei ihrem Steuerberater befinden. Soweit nach dem Ergebnis einer Grundbuchrecherche vom Dezember 2018 zu diesem Zeitpunkt auf die Betroffene insgesamt 23 Grundstücke, die zum Teil aus mehreren Flurstücken bestehen, eingetragen waren, war sich die Betroffene nicht sicher, ob sich all diese Grundstücke noch in ihrem Besitz befinden, und verwies auf ihren Steuerberater. Aus der Anlage V zur Einkommenssteuererklärung betreffend die gegenständliche Wohnung hatten sich für die Jahre 2014 bis 2017 Verluste zwischen 7.674 Euro und 3.866 Euro ergeben und im Jahr 2016 ein Gewinn in Höhe von 2.975 Euro. Nach ihren eigenen Angaben hatte die Betroffene von dem Zeugen F. zwischen November 2015 und Dezember 2016 noch nicht einmal Zahlungen in Höhe von 18.000 Euro erlangt, Mieteinnahmen in diesem Zeitraum hatte ausschließlich der Zeuge F. erhalten. Zum Beweis hierfür hatte die Betroffene ihren Steuerberater angeboten. Feststellungen zu regelmäßigen Einkünften oder Unterhaltsverpflichtungen der Betroffenen hat das Amtsgericht nicht getroffen.

Diese Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen tragen die verhängte Geldbuße, welche den zugrunde liegenden Bußgeldrahmen von 50.000 Euro vollumfänglich ausschöpft, nicht. Bei einer derart hohen Geldbuße muss die Leistungsfähigkeit des Täters stets berücksichtigt werden (Göhler/Gürtler § 17 Rn. 22), da von ihr abhängt, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße den Täter trifft (BayObLG, Beschl. v. 09.10.2019 – 201 ObOWi 963/19 bei juris; OLG Bamberg, Beschluss v. 19.03.2018 – 3 Ss OWi 270/18 = GewArch 2018, 250 = -StraFo 2018, 309). Von daher musste sich die Tatrichterin gedrängt sehen, konkrete Feststellungen zu Einkommensverhältnissen, Vermögen, Schulden und zur Höhe der Unterhaltsverpflichtung der Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung zu treffen, um auf tragfähiger Grundlage zu begründen, dass die gegen die Betroffene verhängte Geldbuße unter Berücksichtigung ihres Zwecks keine unverhältnismäßige Sanktion darstellt. Der Darlegungsumfang nimmt dabei mit der Höhe der Geldbuße zu (BeckOK OWiG/Sackreuther 24. Ed. [Stand: 15.09.2019] § 17 Rn. 93 m.w.N.). Eine Schätzung ist erst dann angezeigt, wenn ein Betroffener keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben macht und eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögern würde oder der Ermittlungsaufwand zu der konkreten Geldbuße in einem unangemessenen Verhältnis stünde (BeckOK OWiG/Sackreuther a.a.O.). Auch hier gilt der Grundsatz, dass Schätzungen immer erst dann in Betracht kommen, wenn zuverlässige Erkenntnisquellen nicht mit zumutbarem Aufwand zu einem nachvollziehbaren Ergebnis führen (vgl. auch [zu § 73d Abs. 2 StGB] Fischer StGB 67. Aufl. § 73d Rn. 9 m.w.N.). Nachdem die Betroffene ausweislich der Urteilsfeststellungen ausdrücklich zur Ermittlung ihrer konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse die Vernehmung ihres Steuerberaters angeboten hatte, durfte das Amtsgericht insoweit von einer Beweiserhebung nicht absehen. Es ist davon auszugehen, dass sich damit die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen, insbesondere die Anzahl der tatsächlich in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke, eventuell deren Wert, die sonstigen Einkünfte der Betroffenen und eventuell auch die von ihr zu begleichenden Kreditverbindlichkeiten mit vertretbarem Aufwand hätten feststellen lassen. Erst wenn der Steuerberater von der Betroffenen nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden worden wäre oder dessen Angaben unergiebig gewesen wären, hätte das Amtsgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen schätzen dürfen. Aber auch in diesem Fall wären Feststellungen anhand konkreter Schätzgrundlagen zu treffen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (vgl. nur BeckOK OWiG/Sackreuther a.a.O.). Die Schätzgrundlagen müssen dann vom Tatgericht so mitgeteilt werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehen kann, von welchen Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen eines Betroffenen das Tatgericht ausgeht (vgl. OLG Bamberg a.a.O.). Hierfür genügt es aber nicht, dass lediglich die Anzahl der auf die Betroffene im Grundbuch eingetragenen Grundstücke dargelegt wird. Es wäre zumindest erforderlich, dass anhand eines zeitnah zur Hauptverhandlung erholten Grundbuchauszugs festgestellt wird, welche Größe diese Grundstücke haben und ob dingliche Belastungen eingetragen sind. Es wäre dann möglich gewesen, anhand der vor Ort üblichen Immobilienpreise zu schätzen, welchen Wert diese Grundstücke haben und ob eventuelle Kreditverbindlichkeiten in Abzug zu bringen sind. Nach alledem ist es dem Senat aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht möglich nachzuprüfen, ob die von dem Amtsgericht festgesetzte Höhe der Geldbuße – auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Betroffenen mit Blick auf die durch die Bußgeldbewehrung geschützten Rechtsgüter von hohem Rang wegen des Gewichts der Tat und der erheblichen Dauer der zweckfremden Nutzung des Wohnraums eine deutliche Pflichtenmahnung zu erteilen ist – ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gerecht wird.

OWi I: Parken in zweiter Reihe, oder: “Unterbrochener” Parkstreifen

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Ich mache dann heute seit längerem mal wieder einen OWi-Tag. Im Moment habe ich zu der Thematik nicht so viel Entscheidungen vorliegen. Ich hoffe, das ist nicht die Ruhe vor dem Sturm.

Ich beginne den Tag dann mit dem KG, Beschl. v. 24.10.2019 – 3 Ws (B) 345/19 – zur Frage des unzulässigen Parkens in zweiter Reihe im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO. Zu § 12 StVO gibt es ja eine ganze Reihe von Entscheidungen. Hier ging es um das sog. Parken in zweiter Reihe.

Dazu hat das KG zusammenfassend in einer Zulassungssache (kurz) Stellung genommen und meint/sagt:

“Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt und bedarf daher keiner erneuten Entscheidung durch den Senat, unter welchen Voraussetzungen ein unzulässiges Parken in zweiter Reihe im Sinne von §§ 12 Abs. 4 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO, § 24 Abs. 1 Satz 1 StVG gegeben ist. So ist insbesondere bereits entschieden, dass beim Vorhandensein eines ausreichend befestigten Parkstreifens (bzw. einer Parkbucht) das Parken am Fahrbahnrand neben diesem gegen  § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO verstößt (vgl. Senat VRS 78, 218 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 14. März 1979 – 6 Ss OWi 2455/78 -, juris). Dies gilt unabhängig davon, ob der Parkstreifen besetzt ist oder nicht (vgl. Senat VRS 60, 392; Schubert in Münchener Kommentar zum Strafverkehrsrecht 1. Aufl., § 12 StVO Rn. 87). Das Verbot hat grundsätzlich auch in Fällen Wirkung, in denen der Parkstreifen zur Lagerung von Gegenständen – wie Müllcontainern oder Baumaterialien – genutzt wird, soweit es sich um eine zeitlich begrenzte Inanspruchnahme des Parkstreifens handelt, die dessen Sinn- und Zweckbestimmung für den ruhenden Verkehr unberührt lässt (vgl. Senat VRS 78, 218). Dagegen kann das Parken neben dem Parkstreifen im Einzelfall zulässig sein, soweit dieser aufgrund von Bauarbeiten nicht benutzbar ist (vgl. BayObLGSt 1984, 121). Wird ein Parkstreifen – etwa durch die Anpflanzung von Straßenbäumen – unterbrochen, darf in diesem Bereich am rechten Fahrbahnrand geparkt werden, sofern nicht hierdurch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert werden und die Unterbrechung des Parkstreifens länger ist, als das Fahrzeug, welches abgestellt werden soll (vgl. Senat VRS 60, 392; OLG Düsseldorf VRS 75, 224 m.w.N.). Denn auch das teilweise Parken neben einer Parkbucht ist nach § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO untersagt (vgl. Schubert a.a.O.). Angesichts dessen kommt es – anders als die Antragsbegründung meint – beim Vorliegen eines (wenn auch nur teilweisen) Parkens neben dem Parkstreifen nicht darauf an, ob hiermit eine Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer einhergeht.”

Und das KG hat dem Beschluss folgende Leitsätze gegeben:

1. Das Parken am Fahrbahnrand neben einem ausreichend befestigten Parkstreifen oder einer Parkbucht verstößt grundsätzlich gegen § 12 Abs. 4 Satz 1 StVO.

2. Wird der Parkstreifen – etwa durch die Anpflanzung von Straßenbäumen – unterbrochen, darf in diesem Bereich am rechten Fahrbahnrand geparkt werden, sofern nicht hierdurch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert werden und die Unterbrechung des Parkstreifens länger als das abgestellte Fahrzeug ist (KG VRS 60, 392).

3. Parkt der Betroffene – wenn auch nur teilweise – neben dem Parkstreifen, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob er andere Verkehrsteilnehmer behindert hat.

OWi II: Erkundigungspflicht des Gerichts vor Verwerfungsurteil?, oder: Willkommen im 21. Jahrhundert

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt auch vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20  – in einer Verfahren betreffend die Rechtsbeschwerde gegen ein verwerfungsurteil dazu Stellung genommen, ob und wann der Amtsrichter, wenn der Betroffene ausbleibt, sich informieren muss, ob ggf. ein Entbindungsantrag und/oder ein sonstiger Antrag des Betroffenen, der sein Ausbleiben entschuldigen könnte, eingegangen ist. Hier war es so, dass ein Verlegungsantrag der Verteidigerin des Betroffenen zwar am Sitzungstag etwa 1 ¼  Stunden vor Sitzungsbeginn im elektronischen Postfach des AG eingegangen war, dieser die Geschäftsstelle des Gerichts ausweislich eines entsprechenden richterlichen Vermerks jedoch erst drei Tage nach der Sitzung erreicht hatte. Das KG meint dazu:

“Das Gericht darf den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Entscheidend ist nicht, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist. Daher muss der Tatrichter von Amts wegen prüfen, ob Umstände ersichtlich sind, die das Aus-bleiben des Betroffenen genügend entschuldigen (vgl. zu § 329 StPO BGHSt 17, 391). Ergeben sich konkrete Hinweise auf einen Entschuldigungsgrund, so muss er ihnen nachgehen. Da erfahrungsgemäß die Geschäftsstelle eines Gerichts auch noch kurz vor einem Termin davon verständigt wird, dass der Betroffene verhindert sei, muss sich der Tatrichter, wenn überraschend weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Termin erschienen sind, aufgrund seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht vor Erlass eines Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle vergewissern, ob eine Mitteilung über die Verhinderung des Betroffenen vorliegt (vgl. BayObLG VRS 83, 56; OLG Köln VRS 102, 382; OLG Stuttgart Justiz 1981, 288). Das Rechtsbeschwerdegericht hat daher grundsätzlich zu prüfen, ob der Tatrichter dieser Aufklärungspflicht nachgekommen ist (vgl. BayObLG a.a.O.). War auf der Geschäftsstelle bereits ein Entschuldigungsschreiben oder eine entsprechende fernmündliche Nachricht über eine Verhinderung des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Verwerfung des Einspruchs bei Gericht eingegangen, ist die fehlende Kenntnis des Richters belanglos (vgl. Senat NZV 2009, 518; 2003, 586 und Beschluss vom 4. September 2000 – 3 Ws (B) 373/00 -, juris; OLG Köln VRS 102, 382; OLG Stuttgart aaO; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 275; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 74 Rdn. 35).

Hier liegt der Fall jedoch anders. Der Verlegungsantrag der Verteidigerin ging zwar am Sitzungstag, dem 13. Dezember 2019, etwa 1 ¼  Stunden vor Sitzungsbeginn im elektronischen Postfach des Amtsgerichts Tiergarten ein, hat die Geschäftsstelle des Gerichts ausweislich eines entsprechenden richterlichen Vermerks jedoch erst am 16. Dezember 2019 erreicht. Dass der Amtsrichter vor seiner Verwerfungsentscheidung auf andere Weise vom Verlegungsantrag Kenntnis erlangt hat, ist der Akte nicht zu entnehmen und vom Betroffenen auch nicht vorgetragen worden, so dass eine positive Kenntnis des Richters ausscheidet.

Er muss sich auch nicht, wovon der Betroffene offenbar ausgeht, etwaiges Wissen von Mitarbeitern des Gerichts (hier der Postannahmestelle des Amtsgerichts, die die Eingänge von elektronischen Schriftsätzen nach § 32a StPO verwaltet) zurechnen lassen. Denn Anknüpfungspunkt ist § 77 Abs. 1 OWiG, wonach allein das erkennende Gericht die Pflicht zur Aufklärung und Nachforschung trifft. Abzustellen ist deswegen – wie dargelegt – allein darauf, ob der erkennende Richter bei Beschlussfassung Kenntnis vom Verlegungsantrag hat bzw. hätte haben können. Die ihn treffende Nachforschungspflicht vor Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es nicht, dass er bei allen möglichen und zugelassenen Einlaufstellen für digitale und physikalische Post ermittelt, ob Hinweise für eine Entschuldigung vorliegen (vgl. Senat NZV 2015, 253; OLG Bamberg NZV 2009, 355; OLG Köln VRS 93. 357; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rdn. 31; Senge a.a.O.). Erkundigungen, die über Nachforschungen auf der Geschäftsstelle hinausgehen, können insbesondere bei großen Gerichten, wie dem Amtsgericht Tiergarten als dem größten Amtsgericht Deutschlands, angesichts eines üblicherweise dynamisch und komplex verlaufenden Sitzungstages nicht verlangt werden (vgl. Senat a.a.O.). Will der Betroffene, dass Anträge oder eilbedürftige Nachrichten den erkennenden Richter rechtzeitig erreichen, bleibt es ihm unbenommen, sich an die Geschäftsstelle des Gerichts zu wenden.”

Na ja, das kann man auch anders sehen. Warum sollte der Amtsrichter die Wartezeit vor der Verwerfung des Einspruchs nicht dazu verwenden (müssen), sich nach ggf. eingegangenen Entbindungsanträgen o.Ä. zu erkundigen. Und wenn ich den Satz: “Will der Betroffene, dass Anträge oder eilbedürftige Nachrichten den erkennenden Richter rechtzeitig erreichen, bleibt es ihm unbenommen, sich an die Geschäftsstelle des Gerichts zu wenden.” lese, kann ich nur lachen. Vielleicht versucht man ja mal vom Senat, die Geschäftsstelle zu erreichen und die zu bitten, den Richter über den eingegangenen Antrag zu informieren. Ich denke, ich denke das Unternehmen wird in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt sein. Zudem: Was soll der elektonische Postverkehr, wenn es dann offenbar drei Tage dauert, um einen Antrag von der Posteingangsstelle an die Geschäftsstelle zu transportieren. Willkommen im 21. Jahrhundert.


OWi III: (Zu) kurzfristige Rücknahme des Einspruchs ==> Kosten?, oder: Erkundigungspflicht des Gerichts?

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Die letzte Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Bremen, Beschl. v. 22.04.2020 – 1 SsBs 65/19 – aus dem Norden. Die Entscheidung passt ganz gut zu dem vorhin vorgestellten KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20 – (vgl. dazu OWi II: Erkundigungspflicht des Gerichts vor Verwerfungsurteil?, oder: Willkommen im 21. Jahrhundert). In meinen Augen führt auch dieser Beschluss zum Kopfschütteln.

Folgender Sachverhalt: Die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen. Auf den Einspruch des Betroffenen beraumte das AG Bremen Hauptverhandlung an für den 25.07.2019 um 10:00 Uhr. Am 25.07.2019 ging um 09:02 Uhr per Telefax beim AG die Rücknahme des Einspruchs ein. Die Hauptverhandlung begann um 10:00 Uhr. Da weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen und der zuständigen Richterin die Rücknahme des Einspruchs nicht zur Kenntnis gelangte, verwarf sie den Einspruch des Betroffenen mit Urteil vom 25.07.2019 nach § 74 Abs. 2 OWiG. Der Betroffene legte gegen das Urteil „Rechtsmittel“, ein. Das OLG hat das Urteil des AG aufgehoben, da nach Einspruchsrücknahme der Einspruch nicht mehr durch Urteil verworfen werden durfte. Die Kosten der Rechtsbeschwerde hat es aber dem Betroffenen auferlegt:

“Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren dem Betroffenen gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 2 StPO aufzuerlegen, denn er hat sie durch eine schuldhafte Säumnis verursacht.Die Säumnis muss zwar grundsätzlich eine Frist oder einen Termin betreffen; allgemein nachlässiges Verhalten bei der Verteidigung oder Prozessverschleppung genügen nicht (BVerfG NStE Nr. 4 zu § 467; Pfeiffer Rn. 5; Degener in SK-StPO Rn. 8). Eine derartige Säumnis liegt aber auch dann vor, wenn das Ausbleiben zwar durch triftige Gründe gerechtfertigt war, der Betroffene dem Gericht jedoch nicht rechtzeitig von der Verhinderung Kenntnis gegeben hat, obwohl ihm dies nach den Umständen möglich war (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 4). Entsprechend verhält es sich dann, wenn die Rücknahme des Einspruchs so spät erfolgt, dass damit gerechnet werden muss, dass sie den zuständigen Spruchkörper vor dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr erreicht. Ergangen ist das angefochtene Urteil nur, weil er Betroffene seinen Einspruch so kurz vor der Hauptverhandlung zurückgenommenen hat, dass die zuständige Richterin nicht rechtzeitig davon erfahren hat. Eingegangen ist die Rücknahme per Fax knapp eine Stunde vor Beginn der Hauptverhandlung. Nach den üblichen Geschäftsabläufen in einem derart großen Gericht wie dem Amtsgericht Bremen konnte der Betroffenen nicht davon ausgehen, dass die zuständige Richterin davon noch rechtzeitig vor der Verhandlung erfahren würde.”

Ich habe Bedenken, ob die Entscheidung des OLG allgemein zutreffend ist. Denn sie legt dem Betroffenen die Haftung für Vorgänge auf, die er nicht beeinflussen kann. Denn wie soll der Betroffene letztlich sicher stellen, dass seine – in der Tat kurzfristige – Rücknahme den zuständigen Richter rechtzeitig erreicht? Eine telefonische Nachricht an den Richter dürfte keinen Erfolg haben, denn der befindet sich in der Sitzung. Natürlich kann der Betroffene durch eine entsprechende Nachricht auf seiner Rücknahme „Bitte sofort vorlegen!“ o.Ä. versuchen zu erreichen, dass die Rücknahme von der Posteingangsstelle zur Geschäftsstelle gebracht wird, die dann (hoffentlich) den Richter informiert. Wenn man aber die Abläufe bei Gericht kennt, muss man m.E. bezweifeln, ob das klappt. Andererseits: Warum verlangt man nicht vom Gericht, dass es sich auf der Geschäftsstelle nach einem Eingang erkundigt, der das Ausbleiben des Betroffenen erklärt? Das Gericht hat vor seiner Verwerfungsentscheidung eine Wartepflicht, die sich für solche Erkundigungen gut nutzen ließe. Aber das hatten wir ja schon, siehe den KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20.

Mittelgebühr in Bußgeldverfahren, oder: Teilweise unbelehrbare Landgerichte

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Am Gebührenfreitag eröffne ich mit einer Entscheidung des LG Hanau, leider eine “zum Ärgern”. Das LG hat im LG Hanau, Beschl. v. 18.05.2020 – 7 Qs 38/20 – zur Frage der Gebührenbemessung im Bußgeldverfahren Stellung genommen. Der Verteidiger hatte Gebühren in Höhe von 50 % über der Mittelgebühr geltend gemacht, die Bezirksrevisorin hatte Gebühren 30 % unter der Mittelgebühr als angemessen angesehen. Der Rechtspfleger folgt (natürlich) der Bezirksrevisorin. Und das LG meint dann auf das Rechtsmittel des Verteidigers dazu:

“Das Amtsgericht hat die Gebührenkürzungen zu Recht vorgenommen.

Es wird vorliegen auf die ständige Rechtsprechung des Landgerichts Hanau verwiesen. Danach lautet es wie folgt:

,,Bei der gebührenmäßigen Bewertung des jeweiligen Verfahrens ist nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer zu unterscheiden zwischen einem allgemeinen Durchschnittsfall, gemessen an den Verfahren aus anderen Ordnungswidrigkeitsbereichen, und einem Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. Nach den Bewertungsmaßstäben der Kammer ist eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall aller Ordnungswidrigkeitenbereiche. Auf diesen Durchschnittsfall ist die Mittelgebühr zugeschnitten und nicht auf einen Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten beinhaltet alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet wird, auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren weisen weder einen komplizierten Sachverhalt auf noch ist bei ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich, Deshalb scheint es insbesondere mit Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen für die Kammer nicht gerechtfertigt, für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgebühr aller Ordnungswidrigkeitenverfahren anzusetzen. Auch die große Anzahl der Verfahren rechtfertigt dies nicht. Die Mittelgebühr ist auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zu geschnitten (vgl. LG Landshut, Entscheidung v. 19.01.2017, Az.; 3 Os 1417, zitiert nach Juris; LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 12.05.2015, Az.: 5/9 Os OWi 26115).”

Der vorliegende Sachverhalt gibt keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Es handelte sich lediglich um eine Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit einem Bußgeld von 160 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot geahndet wurde.

Aufgrund eingetretener Verfolgungsverjährung bedurfte es keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung, so dass das Verfahren mit einfachem Beschluss eingestellt werden musste. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich, inwieweit Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit von einer durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeit abgewichen sein soll, Das bloße Verlangen ergänzender Akteneinsicht unter Vorlage der Dokumentationsfotos hinsichtlich eines längeren Messzeitraums führt insoweit zu keinem anderen Ergebnis. Denn hieraus folgt keine andere Bewertung hinsichtlich der Durchschnittlichkeit der Verkehrsordnungswidrigkeit.

Mithin bleibt es auch im vorliegenden Fall bei der seit Jahren gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts.”

Wenn es in dem Beschluss in meinen Augen ein wenig “stolz” anklingt: “Mithin bleibt es auch im vorliegenden Fall bei der seit Jahren gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts.” kann ich dazu sagen: Darauf muss man nicht stolz sein. Denn siese Mithin bleibt “seit Jahren gefestigten Rechtsprechung des Landgerichts” ist dann seit Jahren falsch. Denn die Unterteilung, die das LG vornimmt ergibt sich nicht aus § 14 RVG. Aber: Das kann man predigen uns schreiben, so viel man will und Lust/Zeit hat. Die Landgerichte, die diese falsche Auffassung vertreten, sind in ihrer unerforschlichen Weisheit von diesem falschen Kurz nicht abzubringen. Zum Glück gibt aber auch welche, die es anders = richtig machen und von der Mittelgebühr auch in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ausgehen. Die Staatskasse freut natürlich diese falschen Entscheidungen.

Fazit: Es hätte die Mittelgebühr als Ausgangspunkt für die Gebührenbeechnung zugrunde gelegt werden müssen. Die wäre dann entspechend den vorliegenden Umständen angemessen zu erhöhen oder zu reduzieren gewesen. M.E. hätte man es hier bei der Mittelgebühr belassen müssen/können. Jedenfalls sehe ich nicht genügend Umstände, um die Mittelgebühr um 50% zu überschreiten. Allerdings auch keine, um sie um 30 % zu unterschreiten 🙂 .

OWi I: Beschilderte Infrastruktureinrichtung/Beschränkung des Durchgangsverkehrs, oder: Abgrenzung mit Folgen

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In die 26. KW./2020 starte ich mit zwei OWi-Entscheidungen. Beide stammen vom bayObLG, beide behandeln – seit längerem mal wieder – Fragen des Fahrverbotes nach § 25 StVG.

Ich beginne mir dem BayObLG, Beschl. v. 22.01.2020 – 201 ObOWi 2752/19 – zur Abgrenzung von Verstößen gegen beschilderte Infrastruktureinrichtungen zu Verstößen gegen Beschränkungen des Durchgangsverkehrs. Liest sich sperrig und ist auch sperrig.

Es geht um folgenden Sachverhalt. Das AG hat gegen den Betroffenen wegen “vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 43 Abs. 3, 49 StVO (Missachtung des durch Zeichen 265 angeordneten Verkehrsverbotes, obwohl die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen gekennzeichnet war)” u.a. eine Geldbuße von 500 EUR ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Grundlage waren folgende Feststellungen:

“Nach den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 17.04.2019 mit einem LKW mit Containeranhänger den G-Weg in O. vom Hafen kommend in Richtung F. Gegen 16:34 Uhr befand er sich nach der Abzweigung zur M-Straße in Richtung G. auf dem im Urteil näher bezeichneten Teilstück. Dort befinden sich drei Brücken, die in Richtung G. durchfahren werden müssen. Die zulässige Höhe ist für Fahrzeuge durch das mehrfach angebrachte Zeichen 265 auf 3,9 Meter beschränkt. Die Container auf dem Anhänger des vom Betroffenen geführten LKW-Gespannes wiesen bei der Durchfahrt unter der gegenständlichen Brücke eine Höhe von 3,98 Meter am hinteren Container und von 3,95 Meter am vorderen Container auf, was der Betroffene zumindest billigend in Kauf nahm. An der zweiten und dritten Brücke dieses Teilstückes ist jeweils erneut das Zeichen 265 mit der Beschränkung auf 3,9 Meter befestigt sowie links und rechts von diesem Zeichen zusätzlich „über beide nach G. führenden Spuren reichend die Verkehrseinrichtung Zeichen 600 im Sinne von Anlage 4 Nr. 1 zu § 43 Abs. 3 StVO angebracht“. Hinsichtlich der Beschaffenheit der Beschilderung und der Markierung hat das Amtsgericht insoweit ausdrücklich die Bilder Nrn. 13, 15 – 16 sowie 17 – 18 auf Blatt 42 bis 45 der Akten benannt und am Ende der Aufzählung wegen der weiteren Einzelheiten auf diese Lichtbilder verwiesen.”

Das BayObLG verurteilt den Betroffenen nur noch zu einer Geldbuße von 40 EUR und lässt das Fahrverbot entfallen:

“a) Der Betroffene hat demnach keine Zuwiderhandlung gegen § 49 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO begangen. Nach den Urteilsfeststellungen i.V.m. den Lichtbildern, auf die wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in wirksamer Weise Bezug genommen worden ist, ergibt sich, dass der Betroffene hier nicht, wie es Nummer 250a BKat verlangt, eine durch Verkehrseinrichtungen nach Anlage 4 laufender Nummer 1 – 4 zu § 43 Abs. 3 StVO gekennzeichnete Straßenfläche befahren hat. § 43 Abs. 3 Satz 2 StVO untersagt es, die durch Verkehrseinrichtungen nach Anlage 4 Nrn. 1 bis 7 gekennzeichneten Straßenflächen zu befahren. Die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach das an der Unterseite des quer zur Fahrbahn des Betroffenen verlaufenden Brücke angebrachte Warnzeichen eine Absperrschranke (Zeichen 600) nach Anlage 4 zur StVO darstellt, vermag der Senat nicht zu teilen. Dies legt bereits der Wortlaut der Straßenverkehrsordnung nahe. Das Zeichen 600 ist mit dem Begriff „Absperrschranke“ Der Begriff Absperrschranke setzt voraus, dass das Verkehrszeichen die Funktion hat, einen Straßenbereich – wie durch eine Schranke – abzusperren. Diese Auslegung wird insbesondere auch gestützt durch die Ausführungen, die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am 12.07.2017 über das Bundeskanzleramt dem Bundesrat mit der Bitte um Zustimmung übersandt haben. Zur Begründung führt der Verordnungsgeber an, dass derzeit eine Vielzahl von Brücken auf ihre Standfestigkeit hin überprüft werde und deshalb vermehrt Geschwindigkeits- und Gewichtsbeschränkungen, teilweise auch in Verbindung mit Höhenbeschränkungen, angeordnet seien, um große und schwere LKW von den Brücken fernzuhalten (BR-Drs. 556/17, Seite 3). Der Verordnungsgeber wollte deshalb mit der Neuschaffung von Nummer 250a BKat durch eine erhebliche Anhebung der Geldbuße und die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes sicherstellen, dass derartige Verbote beachtet werden. In diesem Zusammenhang verweist der Verordnungsgeber darauf, dass Orientierungspunkt bei der Höhe der Bebußung die Missachtung einer geschlossenen Schranke bei Bahnübergängen sei (BR-Drs. 556/17, Seite 37). Hinweise auf derartige Verbote zum Schutz von Infrastruktureinrichtungen würden mehrfach angekündigt und gleichwohl zur Vermeidung von Umwegen bewusst missachtet. Soweit die entsprechenden Beschränkungen mit weiteren Verkehrseinrichtungen begleitet werden, die zu einer Verengung der Fahrstreifen oder einer Höhenbeschränkung führen, um auch rein tatsächlich durch Schaffung derartiger körperlicher Hindernisse ein Befahren von großen und damit auch meist schweren LKW zu verhindern, komme dies einer baulichen Hürde wie einer Schranke gleich, die mechanisch bereits das Befahren der Straße kaum möglich mache (BR-Drs. 556/17 Seite 37/38). Der Verordnungsgeber wollte demnach die Nichtbeachtung oder das Überfahren von körperlichen Hindernissen durch eine deutliche Erhöhung der Geldbuße verhindern. Dies bedeutet, dass – wie vorliegend – unmittelbar an der Infrastruktureinrichtung durch Schilder angebrachte rot-weiße Markierungen keine über die durch eine niedrige Brücke ohnedies gegebene Beschränkung des Durchfahrtverkehrs darstellen. Diese Markierungen stellen damit keine Absperrschranke im Sinne von Zeichen 600 der StVO dar. Vielmehr handelt es sich bei einer solchen Markierung lediglich um ein sogenanntes Leitmal (Zeichen 627) und damit um eine Einrichtung zur Kennzeichnung von dauerhaften Hindernissen oder sonst gefährlichen Stellen. Nach den Erläuterungen zu Anlage 4 laufende Nummer 10 zur StVO kennzeichnen Leitmale in der Regel den Verkehr einschränkende Gegenstände. Ihre Ausführung richtet sich nach der senkrechten (VzKat Nr. 627-10 und Nr. 627-20), waagrechten (VzKat Nr. 627-30) oder gewölbten bzw. gebogenen Anbringung (VzKat Nr. 627-50) beispielsweise an Bauwerken, Bauteilen und Gerüsten. Auch wenn das unter Anlage 4 laufende Nummer 10 zur StVO abgebildete Leitmal gebogen ist, steht aufgrund der hierzu angegebenen Erläuterung eindeutig fest, dass ein Leitmal – wie hier – auch dann gegeben ist, wenn es waagrecht an einer quer zur Fahrbahn verlaufenden Brücke angebracht ist. Demgegenüber liegt dem Tatbestand von lfd. Nr. 250a BKat zugrunde, dass die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen gekennzeichnet ist, wobei Verkehrseinrichtungen in diesem Sinne Schranken, Leitbaken, Leitschwellen und Leitborde sind (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 01.02.2019 – 1 RBs 28/19 bei juris). Derartige Absperreinrichtungen sind hier aber nicht vorhanden.

b) Der Betroffene hat damit vorsätzlich gegen § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 39 (Zeichen 265) verstoßen und damit eine Zuwiderhandlung nach § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO begangen. Der Schuldspruch des Urteils des Amtsgerichts war daher dahingehend abzuändern. § 265 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG steht dem nicht entgegen, da Gegenstand der dem Betroffenen zur Last liegenden Ordnungswidrigkeit bereits die Missachtung der Höhenbeschränkung (Zeichen Nr. 265) war.”

OWi II: Kein Absehen vom Fahrverbot bei einem Priester, oder: Das BayObLG kennt keine Gnade…

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Die zweite Entscheidung kommt dann – wie angekündigt – auch vom BayObLG. Das musste sich im BayObLG, Beschl. v. 27.04.2020 – 202 ObOWi 492/20 – mit einem amtgserichtlichen Urteil auseinandersetzen, in dem der Amtsrichter auch bei einem Priester vom Regelfahrverbot nicht wegen der mit dem Priesteramt verbundenen Sakralpflichten abgesehen hatte.

Auch das BayObLG kennt keine Gnade 🙂 und verwirft die Rechtsbeschwerde. Der betroffen hat ein geltend gemacht, dass “ein „Ausnahmefall“ vorliege. Als katholischer Pfarrer sei es ihm aufgrund der privaten wie – vom zuständigen bischöflichen Dekanat im Verfahren schriftlich bestätigt – beruflichen Situation keinesfalls ohne weiteres möglich, das Fahrverbot anzutreten. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts lägen „hier sehr wohl außergewöhnliche Umstände vor, die zu einer Anordnung des Fahrverbots nicht berechtigten“. Der Betroffene sei für 2000 Gläubige „verantwortlich und auch verpflichtet hier Krankenbesuche durchzuführen, unter Umständen Beerdigungen abzuhalten, Teilnahme an Konferenzen, Fortbildungen und die Erteilung des Religionsunterrichts an Schulen durchzuführen“. Auch könne sich der Betroffene „nicht einen Pfarrer ‚ausleihen‘, der hier dann für ihn tätig“ werde, zumal „in der heutigen Zeit der Beruf des katholischen Pfarrers […] mit Nachwuchsproblemen behaftet“ sei. Auch sonst gebe es „gerade bei der katholischen Kirche […] kein Übermaß an Mitarbeitern, die hier für den Betroffenen eintreten […] und für diesen die Fahrdienste übernehmen“ könnten.”

Dazu das BayObLG:

“2. Aus der mit der Ausübung des Amtes eines katholischen Pfarrers als geweihtem Amt oder derjenigen eines jeden (hauptamtlichen) Geistlichen einer anderen Konfession oder Glaubensrichtung typischerweise verbundenen wesentlichen Aufgaben, darunter der gegebenenfalls kirchenrechtlich exklusiven Legitimation zur (Einzel-) Sakramentsspendung (z.B. Krankensalbung), folgt nichts anderes. Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer vorgenannten Antragsschrift im Wesentlichen aus:

„An Art. 4 Abs. 1 und 2 GG musste das Amtsgericht die getroffenen Maßnahmen nicht messen. Zwar unterfällt die ungestörte Ausübung des Berufs als römisch-katholischer Pfarrer bzw. die Gewährleistung des religiösen Lebens in einer Pfarrgemeinde dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Indes wird durch die Verhängung des Fahrverbots allein in die Religionsausübungsfreiheit nicht eingegriffen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass einerseits auch faktische Maßnahmen sowie […] mittelbar wirkende Maßnahmen Grundrechtseingriffe darstellen können. Damit aber der Staat nicht handlungsunfähig wird, ist andererseits nicht jede noch so entfernte mittelbare Folge staatlicher Maßnahmen als Grundrechtseingriff zu werten […]. Dies ist vorliegend auch in Ansehung des Fahrverbots anzunehmen, weil der Maßnahme jede religionsregelnde Tendenz fehlt und der Betroffene durch sie wie jeder andere Staatsbürger belastet wird und gerade nicht in seiner Funktion als Geistlicher. Sähe man dies anders, wäre die Maßnahme, weil sie der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und damit dem von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit Dritter dient, unter Berücksichtigung dessen, dass die betroffenen Grundrechte im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich zu bringen sind, jedenfalls gerechtfertigt. Dabei wäre auf der Verhältnismäßigkeitsebene ausschlaggebend, dass es für den Betroffenen nach seinen finanziellen Verhältnissen – er verfügt über ein geregeltes Einkommen und hat, wie aus dem nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO wirksam in Bezug genommenen Messfoto ersichtlich, offensichtlich Zugang zu einem hochwertigen Fahrzeug […] – möglich und zumutbar erscheint, während der Zeit des Fahrverbots auf eigene Kosten einen Ersatzfahrer […] anzustellen oder einen Taxidienst in Anspruch zu nehmen. Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Anstellung nicht binnen der Abgabefrist von vier Monaten bewerkstelligen ließe, sind nicht ersichtlich […].“

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei und macht sie sich zu Eigen; ihnen ist auch in Ansehung der Gegenerklärung nichts hinzuzufügen (zur Unerheblichkeit einer gegen ein bußgeldrechtliches Fahrverbot eingewandten Kunstfreiheit aus Art. 5 GG eines u.a. als ‚Fernseh-Kommissar‘ tätigen Schauspielers vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 31.03.2005 – 2 Ss OWi 78/05 = NJW 2006, 627 = DAR 2006, 399).”

OWi I: Fahrlässige Geschwindigkeitskeitsüberschreitung?, oder: Verkehrszeichen nur in anderer Richtung

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entnommen wikimedia.org

Für den OWi-Bereich liegen mir derzeit nicht so viele Entscheidungen vor. Aber für einen weiteren OWi-Tag heute reicht es dann doch (noch) 🙂 .

Ich starte mit dem OLG Oldenburg, Beschl. 30.04.2020 – 2 Ss (OWi) 111/20. Die Problematik: Kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann in Betracht kommen, wenn in der Fahrtrichtung, in der der Betroffene gefahren ist, kein Verkehrszeichen passiert wurde?

Das OLG meint: Grundsätzlich ja. Zu entscheiden war folgender Sachverhalt:

“Der Betroffene befuhr in Ort3 eine innerstädtische Straße in nördlicher Richtung. Er passierte dabei das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzende Verkehrszeichen 274 in Kombination mit Verkehrszeichen 123 (Arbeitsstelle). Anschließend bog er auf den Parkplatz seiner Arbeitsstätte ab. Nach mehreren Stunden verließ er mit seinem Fahrzeug den Parkplatz, um nunmehr in südlicher Richtung auf der oben genannten Straße zurückzufahren. Bis zur Messstelle passierte er in dieser Fahrtrichtung kein die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen, da dieses nördlich des Parkplatzes aufgestellt war.”

Das AG hat verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er meint, die sei zuzulassen zur Klärung der Frage, ob eine Beschilderung einer Geschwindigkeitsbegrenzung in Verbindung mit dem Hinweis auf eine Baustelle im Bereich der Baustelle auch für den Gegenverkehr gilt, der auf dieser Fahrspur die dort vorhandene Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht passiert hat.

Dazu das OLG:

“Die Rechtsbeschwerde ist hier nicht zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen.

Die in diesem Zusammenhang relevanten Rechtsfragen sind geklärt.

Das Streckenverbot galt im vom Betroffenen befahrenen Bereich auch in südlicher Richtung. Zwar soll unter anderem das Zeichen 274 hinter Kreuzungen und Einmündungen wiederholt werden, an denen mit dem Einbiegen ortsunkundiger Kraftfahrer zu rechnen ist. Selbst wenn man die Zufahrt zum Parkplatz mit einer Einmündung gleichsetzen würde, wäre allein hierdurch das Streckenverbot aber nicht aufgehoben worden (vergleiche Senat, NJW 2011, 3593).

Grundsätzlich entfalten Verkehrszeichen das Gebot einer Geschwindigkeitsbeschränkung aber nur in der Fahrtrichtung für die sie aufgestellt und für den Betroffenen auch sichtbar sind (Senat VRS 89, 53; OLG Celle DAR 2000, 578; OLG Bamberg Beschluss vom 17. Juli 2013, 3 SsOWi 944/13, juris).

Insoweit unterscheidet sich der hier vorliegende Sachverhalt von demjenigen, der der Entscheidung des Senats NJW 2011, 3593 zugrunde lag, da dort der Betroffene nach Verlassen des Parkplatzes in derselben Richtung weitergefahren war. Auf dem Hinweg war er an dem Verkehrszeichen vorbeigefahren.

Hier hatte der Betroffene jedoch in seiner –späteren- Fahrtrichtung kein Verkehrszeichen passiert.

Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist jedoch vergleichbar mit demjenigen, der der Entscheidung BGHSt 11, 7 ff. zugrunde lag. Dort war es so, dass „die Angeklagten“ mit einem unbeladenen Lastzug ein Verkehrszeichen passiert hatten, mit dem die Straße für Fahrzeuge über 6 t Gesamtgewicht gesperrt war. Unterwegs beluden sie den Lastzug in einem abseits gelegenen Waldstück mit Holz, sodass die Grenze von 6 t überschritten war und fuhren anschließend auf dem Waldweg zurück zur Landstraße, um in die Richtung zurückzufahren, aus der sie gekommen waren, wobei in diesem Streckenverlauf kein Verbotsschild aufgestellt war.

Der BGH hat ausgeführt, dass die Verkehrsbeschränkung für den gesamten Straßenabschnitt, ohne dass die Anordnung für denjenigen, der das Schild an einem der beiden Anfangspunkt wahrgenommen hatte, unterwegs durch zusätzliche Verbotstafeln wiederholt zu werden brauchte, gegolten hätte. „Wenn also ein Kraftfahrer sein Fahrzeug vor Erreichen des Endpunktes der Sperrstrecke über das zugelassene Höchstgewicht beladen und die Fahrt in gleicher Richtung fortgesetzt hätte, könnte er nicht erfolgreich geltend machen, das für die ganze Strecke gültige Verbot sei auch nicht in ihrem letzten Teilstück durch amtliche Verkehrszeichen sichtbar gemacht“ (BGH a. a. O.).

Weiter heißt es dort:

„Ob nun die Fahrt in derselben oder in der entgegengesetzten Richtung fortgesetzt wird, in beiden Fällen wird vom Kraftfahrer verlangt, dass er sich ein für längere Strecke geltendes Verbotsschild mindestens dann merkt und einprägt, wenn es zuvor wahrgenommen hat.“ Diese Ansicht bedeute kein Abgehen vom Sichtbarkeitsgrundsatz. Sie wolle nur seiner allzu weitgehenden Übersteigerung, die zu kaum verständlichen Ergebnissen im Verkehr führen würde, entgegentreten. „Die Angeklagten“ hätten das Verbotszeichen auf der einheitlichen Fahrt befolgen müssen, solange sie diese Straße genutzt hätten. Die noch am selben Tag unmittelbar an das Beladen sich anschließende Rückfahrt über die gleiche Strecke könne nämlich nicht unabhängig von der vorangegangenen Benutzung als neue, selbständige Fahrt angesehen werden.

Der BGH hat seine Entscheidung weiter damit begründet, dass die dortige Belastungsbeschränkung erkennbar für beide Fahrtrichtungen gegolten hätte.

Dieser Gedanke lässt sich allerdings nicht in jedem Fall auf die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung übertragen. Zwar mag in der Praxis häufig eine Geschwindigkeitsbeschränkung für beide Richtungen eines Streckenabschnitts gelten, wobei sich die Streckenabschnitte mit beschränkter Geschwindigkeit für die gegenläufigen Fahrtrichtungen aber keineswegs decken müssen (OLG Celle a. a. O.).

Sowohl das OLG Celle als auch das OLG Bamberg halten es in den oben genannten Entscheidungen jedoch für möglich, dass ein Betroffener aufgrund der Umstände davon ausgehen muss, dass auch für die Gegenfahrbahn ein entsprechendes Geschwindigkeitsgebot bestand. Anders als in den Sachverhalten, die den dortigen Entscheidungen zugrunde lagen, sind hier aber vom Amtsgericht Umstände festgestellt worden, aufgrund derer der Betroffene davon ausgehen musste, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung auch für seine Fahrtrichtung galt:

Zum einen war die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Kombination mit dem Verkehrszeichen „Arbeitsstelle“ angeordnet worden. Zum anderen befand sich die Baustelle nach den Feststellungen des Amtsgerichtes mittig auf den nicht durch Leitplanken getrennt Fahrbahnen. Wenn bei einer derartigen Örtlichkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung für eine Fahrtrichtung angeordnet worden ist, drängt sich auf, dass für die entgegengesetzte Fahrtrichtung nichts anderes gilt.

Letztlich ist die Frage, ob dem Betroffenen aufgrund der Örtlichkeit ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine solche des konkreten Einzelfalles und deshalb der Fortbildung des Rechts nicht zugänglich, während die sonstigen Fragen in diesem Zusammenhang geklärt sind.”

Ich habe meine Zweifel, ob die Auffassung des OLG zutreffend ist, wobei – hier – allerdings nicht übersehen werden darf, dass der Betroffene ortskundig war. Allerdings stellt sich die Frage, ob man die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt. Letztlich ist die Frage, ob einem Betroffenen aufgrund der (ihm bekannten) Örtlichkeit ggf. ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine des konkreten Einzelfalles – so auch das OLG – und kann deshalb wohl mit einem Zulassungsantrag zur Fortbildung des Rechts nicht angegriffen werden. Allerdings bietet das für den Verteidiger wiederum ein Einfallstor, um vorzutragen, warum sich dem Betroffenen im Einzelfall die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht aufdrängen musste.

 

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