Im zweiten Beitrag stelle ich dann den den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.01.2025 – 3 ORbs 330 SsBs 645/24 – vor. Man erkennt am Aktenzeichen es ist ein Beschluss aus einem Bußgeldverfahren. Die vom OLG entschiedene Problematik kann aber auch im Strafverfahren auftreten. Es geht nämlich um die Wirksamkeit der Urteilszustellung, die ja von der Fertigstellung des Protokolls abhängt. Und da lag hier einiges im Argen.
Das AG hatte am 14. Juni 2024 gegen den – vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen, in der Hauptverhandlung nicht erschienenen und dort auch nicht von einem Verteidiger vertretenen – Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes eine Geldbuße festgesetzt und ein Fahrverbot verhängt. Gegen das dem Betroffenen am 13.07.2024 und dem Verteidiger des Betroffenen am 12.07.2024 zugestellte Urteil hat dieser mit am 17.07.2024 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt, die er mit Schreiben vom 16.08.2024, eingegangen am selben Tag bei Gericht, begründet hat.
Das AG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel nicht innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung der Entscheidung begründet worden sei. Hiergegen beantragte der Verteidiger mit Faxschreiben vom 16.09.2024 die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts herbeizuführen und führte aus, dass die Rechtsmittelbegründungsfrist am 16.08.2024 noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Das OLG hat den Verwerfungsbeschluss des AG aufgehoben:
„1. Der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Konstanz vom 10.09.2024 war aufzuheben. Mangels wirksamer Urteilszustellung wurde vorliegend weder die Rechtsbeschwerdeeinlegungs- noch die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist in Lauf gesetzt, so dass diese auch noch nicht abgelaufen sind.
Gemäß § 79 Abs. 4 OWiG beginnt die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde mit der Zustellung des Urteils, wenn es – wie hier – in Abwesenheit des Betroffenen verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 OWiG durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden ist. Die Zustellung des Urteils darf jedoch nach § 71 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 273 Abs. 4 StPO nicht erfolgen, bevor nicht das Sitzungsprotokoll fertig gestellt ist. Die Zustellung vor der Fertigstellung ist unwirksam und setzt die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen nicht in Lauf (vgl. BGHSt 27, 80; Meyer-Goßner, StPO, 67. Aufl., § 273 Rn. 34; LR-Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 273 Rn. 65; KK-Hadamitzky, OWiG, 5. Aufl., § 79 Rn. 55), mithin auch nicht die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde, da diese an die Urteilszustellung anknüpft.
Vorliegend ist das Hauptverhandlungsprotokoll noch nicht fertig gestellt.
Dabei kann dahinstehen, ob die Urteilsformel an sich noch als hinreichend protokolliert anzusehen ist, da in dem Protokoll des Amtsgerichts über die Hauptverhandlung vom 14. Juni 2024 insofern lediglich ein nicht als Anlage gekennzeichnetes Loseblatt mit der Urteilsformel in das vierseitige und ausschließlich auf der ersten Seite überhaupt ausgefüllte Protokollvordruckformular eingefügt ist; insofern heißt es zwar ausweislich des Vordrucks auf Seite 4, dass „folgendes Urteil“ verkündet worden sei, sodann erfolgten jedoch keinerlei tatsächliche (nicht vorgedruckte) Ausfüllungen oder zumindest Bezugnahmen.
Dabei ist zwar in der von dem Senat geteilten obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur anerkannt, dass das Protokoll grundsätzlich mit dem Vollzug der erforderlichen Unterschriften der Urkundspersonen, dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 271 Abs. 1 StPO), oder – wie vorliegend bei Absehen der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gemäß § 226 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG – mit der Unterschrift des Richters bzw. der Richterin fertig gestellt ist, und zwar unabhängig davon, ob es unrichtig oder lückenhaft ist oder sonstige formelle Mängel aufweist (vgl. BGH, NStZ 1984, 89; LR-Stuckenberg, a. a. O., § 273 Rn. 65; KK-Greger, StPO, 9. Aufl., § 271 Rn. 8; Meyer-Goßner, a. a. O., § 271 Rn. 19).
Allerdings fehlt es vorliegend neben dem Datum auch insbesondere an der Unterschrift der Richterin, mithin ist das Protokoll überhaupt nicht unterzeichnet worden. Allein die Unterschrift auf dem nicht als Anlage gekennzeichneten Beiblatt, welches lediglich den Tenor enthält, ist nicht ausreichend um einen Fertigstellungswillen hinsichtlich des gesamten Protokolls anzunehmen.
Mit dieser Protokollierung hat das Amtsgericht Konstanz gegen die – gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren geltende (vgl. Göhler-Bauer, OWiG, 19. Aufl., § 71 Rn. 55) – Vorschrift des § 273 Abs. 1 S. 1 StPO verstoßen, wonach das Protokoll die für den gesamten Protokollinhalt notwendige Unterschrift enthalten muss. Der Verstoß gegen die Protokollierungspflicht hat hier zur Folge, dass die Sitzungsniederschrift als noch nicht fertig gestellt anzusehen ist und das Urteil daher noch nicht hätte zugestellt werden dürfen.
2. War danach die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde mangels wirksamer Urteilszustellung und damit, weil an den Ablauf der Einlegungsfrist anknüpfend, auch die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerdeanträge und deren Begründung (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. § 345 Abs. 1 StPO) noch nicht in Lauf gesetzt, ist der Senat derzeit nicht befugt, über die Rechtsbeschwerde zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel noch weiter, auch mit (weiteren) Verfahrensrügen begründen könnte. Bei dieser Sachlage waren die Akten an das Amtsgericht zur Fertigstellung des Protokolls über die Hauptverhandlung, zur erneuten Zustellung einer Urteilsausfertigung sowie zur anschließenden erneuten Vorlage nach §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 347 StPO zurückgegeben (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 347 Rn. 5 m. w. N.).“
Wenn es für den Verteidiger noch etwas „nachzubessern“ gibt, das ist noch möglich.