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Akteneinsicht II: Kein Rechtsmittel, oder: Alles nur Worthülsen….

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Die zweite Entscheidung ist dann ein landgerichtlicher Beschluss, und zwar der LG Hannover, Beschl. v. 07.03.2018 – 48 Qs 16/18. Es geht um die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung der (Akten)Einsicht in Unterlagen im gerichtlichen Verfahren. Das LG sagt: Unzulässig, § 305 Satz 1 StPO steht entgegen:

“Bei dem Antrag auf Beiziehung der Unterlagen handelt es sich faktisch — wie auch der Verteidiger des Betroffenen in seinem Antrag selbst ausgeführt hat — um einen Antrag auf Akteneinsicht. Die Akteneinsicht gewährleistet den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, dient vornehmlich der Vorbereitung und/oder Begründung von Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen in der laufenden Hauptverhandlng und soll eine effektive Verteidigung ermöglichen (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 27.2.2003 — 3 Ws 234/03, BeckRS 2003, 30309455). Da die Gewährleistung dieser grundlegenden Prozessrechte vorrangige Aufgabe jeden Gerichts ist, muss diese Entscheidung durch das erkennende Gericht vor der Urteilsfällung erneut auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Die Verletzung der Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und des Rechts auf ein faires Verfahren wird zudem — unter bestimmten Voraussetzungen — auch durch den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG geschützt. Jede diese Rechte tangierende Entscheidung des Vorsitzenden nach Eröffnung der Hauptverfahrens oder auch in laufender Hauptverhandlung steht mithin in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und kann geeignet sein, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei den hier in Frage stehenden Unterlagen überhaupt um Aktenbestandteile handelt. Überdies bezweckt der Antrag des Verteidigers im vorliegenden Fall letztlich eine Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme, sodass die den Antrag ablehnende Entscheidung des erkennenden Gerichts auch bereits aus diesem Grund in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung steht und damit nicht beschwerdefähig i.§.d. § 305 Abs. 1 StPO ist.”

Klingt toll, wenn man das so lies: Dass die “Gewährleistung dieser grundlegenden Prozessrechte vorrangige Aufgabe jeden Gerichts ist2 und “Verletzung der Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und des Rechts auf ein faires Verfahren”. Wäre nur schön, wenn dem auch mal Taten folgten und der Verteidiger/Betroffene nicht wie im Hamsterrad hin und her rennen muss, ohne dass er weiter kommt. Denn kommt er zum OLG heißt es dort bei der Verfahrensrüge: Du hättest das und das noch vortragen müssen, vielleicht auch, welches Wetter am Kommuniontag war.


Akteneinsicht III: Einsicht nur am Verwahrort, oder: Verteidigertourismus

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So, und dann noch eine “Einsichtsentscheidung” – na, “Einsicht”, wohl eher nicht. Es ist der AG St. Ingbert, Beschl. v. 07.02.2018 – 11 OWi 27/18. Es geht noch einmal um Einsicht in die Messunterlagen. Bekommst du, sagt das AG, aber nur dort, wo sie aufbewahrt werden:

“Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet und war daher als solcher nach § 62 OWiG zurückzuweisen.

Messfotos, Messprotokoll Eichschein und Geräteakte befinden sich in der Akte, so dass der Antrag insofern ins Leere geht, Stammkarte und Schulungshinweise mittlerweile auch.

Ein Anspruch auf Überlassung der Messdaten der gesamten Messserie besteht nicht (vergl. OLG Frankfurt, B. vom 26.08.2016, Az 2 Ss-OWi 589/16, OLG Düsseldorf, B. vom 22.07.2015, Az IV-2 RBs 63/15).

Es besteht zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Einsicht in die Rohmessdaten der gegenständlichen Messung (vergl. OLG des Saarlandes, B. vom 24.02.2016), jedoch nur am Verwahrungsort (Verwaltungsbehörde, Ordnungsamt, Polizeidienststelle) und nicht auf Herausgabe dieser Daten mit Token/Geräteschlüssel (vergl. OLG Bamberg, B. vom 04.04.2016, Az 3 Ss OWi 1444/15, OLG Oldenburg, B. vom 13.03.2017, Az 2 ss (OWi) 40/17, OLG Frankfurt, B. vom 11.08.2016, Az 2 ss OWi 562/16).”

Da sind sie wieder die OLG-Entscheidungen, die das Verteidigerleben nun wahrlich nicht erleichtern. Und natürlich auch das OLG Bamberg.

Im Übrigen: Es lebe der Verteidigertourismus

Anfängerurteil, oder: Wenn bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung aber auch gar nichts stimmt

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Heute dann ein Tag des (Licht)Bildes. Den Opener macht der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2018 – IV-3 RBs 54/18, den mir der Kollege P.Lauterbach aus Solingen übersandt hat. Es handelt sich bei dem dem Beschluss zugrunde liegenden Urteil des AG Wuppertal mal wieder um ein AG-Urteil, bei dem aber auch gar nichts stimmt:

“1. Den Urteilsgründen ist bereits nicht zu entnehmen, worauf die Feststellungen zu der vorwerfbaren Geschwindigkeit beruhen. Ausweislich der Urteilsgründe hat sich der Betroffene nicht zur Sache eingelassen. Im Übrigen befassen sich die Ausführungen zur Beweiswürdigung des Amtsgerichts allein mit der Fahreridentifizierung und der Ordnungsgemäßheit der Messung. Angaben zur Grundlage der Feststellungen zum Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung fehlen hingegen. Insbesondere der— im Zusammenhang mit der Fahreridentifizierung erörterte — Umstand, dass das „Messfoto in Augenschein genommen” (UA § . 3) wurde, trägt die Feststellungen zur Geschwindigkeit nicht. Bei etwaig eingeblendeten Daten des Messfotos handelt es sich um urkundliche Angaben, die von der allein mitgeteilten Einnahme des Augenscheins nicht erfasst werden.

2. Die Urteilsgründe genügen auch den sachlichrechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht. Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein solches Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen — wenn auch nur gedrängten — zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmitteigericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. die Nachweise bei Huckenbeck/Krumm, NZV 2017, 453, 456). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil, das lediglich die vom Sachverständigen „festgestellten” Übereinstimmungen und das vergebene Wahrscheinlichkeitsprädikat mitteilt, nicht gerecht. Eine Darlegung der Ausführungen des Sachverständigen war vorliegend auch nicht deswegen entbehrlich, weil die Fahreridentifizierung nicht ausschließlich aufgrund eines anthropologischen Sachverständgengutachtens erfolgt ist. Verschafft sich der Tatrichter — wie hier (UA § . 3) — auch aufgrund eigener Wahrnehmung von der Person des Betroffenen und einem Abgleich mit dem Radarfoto die notwendige Überzeugung von der Fahrereigenschaft, gelten die erhöhten Darlegungsanforderungen zwar nicht uneingeschränkt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. Juni 20171 4 RBs 216/17 <beck-online>). Vielmehr kann in diesem Fall von näheren Ausführungen zum Inhalt des Gutachtens abgesehen werden, wenn die Urteilsgründe im Übrigen so gefasst sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das jeweilige Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter bereits dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Verfahrensakte befindliche Messbild gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 § . 3 StPO Bezug nimmt. Durch die Bezugnahme wird das Lichtbild Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsbeschwerdegericht hat insoweit die Möglichkeit, aus eigener Anschauung zu würdigen und zu beurteilen, ob das Lichtbild als Grundlage einer Identifizierung generell tauglich ist (vgl. BGH, NJW 1996, 1420, 1421 m. w. N.). Macht der Tatrichter von der Möglichkeit der Bezugnahme Gebrauch und ist das Lichtbild zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Begründung der Überzeugung von der Identität der abgebildeten Person mit dem Betroffenen insgesamt entbehrlich, zumal die Überprüfung dieser tatrichterlichen Wertung dem Rechtsbeschwerdegericht weder zusteht noch möglich ist (BGH, a.a.O.). Auch nach diesen Maßgaben hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung indes nicht Stand. Denn es fehlt an einer ordnungsgemäßen Bezugnahme auf das Beweisfoto. Eine solche ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die genaue Fundstelle des konkreten Lichtbildes in den Akten mitgeteilt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21. September 2011, 322 SsBs 328/1 1 <beck-online>). Diese Mitteilung ist hier unterblieben.

3. Überdies sind die amtsgerichtlichen Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung lückenhaft und bieten damit auch keine hinreichende Grundlage für die Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs. Zwar teilt der Amtsrichter das angewandte Messverfahren mit, bei dem es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt. Es fehlen jedoch vollständige Angaben zu dem vorgenommenen Toleranzabzug. Dem Urteil ist lediglich zu entnehmen, dass ein solcher vorgenommen worden sein soll. Angaben zur Höhe fehlen hingegen. Aufgrund der ebenfalls fehlenden Angabe zur gemessenen tatsächlichen Geschwindigkeit lassen sich die Vornahme und die Höhe des Abzugs auch nicht mittelbar nachvollziehen. Dem Senat ist es somit insgesamt nicht möglich zu überprüfen, ob etwaige Fehlerquellen in ausreichendem Maße berücksichtigt worden sind. Insofern kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das Ausmaß der vorwerfbaren Geschwindigkeitsüberschreitung unterhalb der vom Amtsgericht angenommenen Geschwindigkeit liegt. In Anbetracht der Höhe des vorzunehmenden Toleranzabzuges und der vom Amtsgericht angenommenen Geschwindigkeit „nahe der Grenze” zum nächstgeringeren Regeltatbestand ist daher auch nicht zu erkennen, ob die hinsichtlich der Bußgeldhöhe und insbesondere des Fahrverbots zugrunde gelegten Regelanordnungen rechtsfehlerfrei gewählt worden sind.”

Tja, – selbst auf die Gefahr böser Kommentare: Anfängerurteil.

Das anthropologische Identitätsgutachten, oder: Der “schwierige” Sachverständige “Dr. CS”

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Und als zweite Lichtbildentscheidung dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 92/17. Der nimmt noch einmal Stellung zu den an die Urteilsgründe bei anthropologischen Identitätsgutachten im Bußgeldverfahren. Das AG hatte schon einiges geschreiben – im Vergleich zu anderen Urteilen, die man so liest, m.E. eine ganze Menge. Dem OLG hat das aber immer noch nicht gereicht:

“cc) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Tatrichter – wie hier – ein anthropologisches Identitätsgutachten eingeholt und verwertet hat (Gübner aaO., Rn. 1774 und 2543 mwN.). Misst das Tatgericht einem solchen Sachverständigengutachten Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08, juris Rn. 10; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Der Umfang der Darlegungspflicht hängt dabei von der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, der der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt, ab (BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NStZ 2000, 106). Weil es sich bei einem anthropologischen Identitätsgutachten nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt (vgl. Rösin/Quarch/Danner, Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morphologischen Identitätsgutachten, NStZ 2012, 548), bei der sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann (BGH, Beschluss vom 19.08.1993 – 4 StR 627/92, NStZ 1993, 592; Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458; KG, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 59), muss den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen sowie der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung zu entnehmen sein. Dies erfordert insbesondere eine Benennung der vom Sachverständigen aus dem Messbild herausgearbeiteten morphologischen Merkmale. Sind diese Merkmale der bei der Bußgeldakte befindlichen Aufnahme nicht ohne weiteres zu entnehmen, ist zur Verständlichkeit des Gutachtens zudem in den Urteilsgründen die Methodik nachvollziehbar zu machen, mit der der Sachverständige gleichwohl die von ihm zugrunde gelegten Merkmale extrahiert und mit dem Betroffenen abgeglichen hat (OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48). Fehlt es an entsprechenden Ausführungen, kann dies die Besorgnis begründen, dass für maßgeblich gehaltene Merkmale nicht an dem Lichtbild und dem darauf abgebildeten Fahrer ausgerichtet worden sind, sondern anhand der Physionomie des Betroffenen ermittelt wurden. Ein solches Vorgehen wäre fehlerhaft. Denn es beinhaltet die Gefahr, dass das Tatgericht von ihm für maßgeblich gehaltenen Merkmale des in Augenschein genommenen Betroffenen in die vorhandene Aufnahme “hineininterpretiert”, obgleich diese wegen ihrer schlechten Qualität auch anderen Deutungen zugänglich ist. Neben der Mitteilung der anhand des Lichtbilds ermittelten Kriterien ist anzugeben, in welchem Maße der Sachverständige diesbezügliche Übereinstimmungen mit dem Betroffenen festgestellt hat. Ferner sind Angaben erforderlich, welche Aussagekraft er diesen einzelnen Merkmalen jeweils zugemessen und mit welchem Gewicht er sie jeweils in seine Gesamtbewertung eingestellt hat (BGH, Urteil vom 20.03.1991 – 2 StR 610/90, NStZ 1991, 596, 597; OLG Bamberg, Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7). Dies erfordert regelmäßig eine Gewichtung der herangezogenen einzelnen Merkmalsausprägungen in Bezug auf ihre Häufigkeit in der jeweiligen ethnischen Gruppe (Gübner aaO. Rn. 2545), die sinnvollerweise durch eine Einteilung in Wichtungsklassen transparent zu machen ist. Konkreter Angaben zum statistischen Verbreitungsgrad einzelner Merkmale in der Gesamtbevölkerung bedarf es dagegen allenfalls dann, wenn der Sachverständige seine Bewertung auf eine Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 20.10.2011 – 1 Ss Bs 31/11 (109), juris Rn. 16 [unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes Gutachten zum Stand der anthropologischen Wissenschaft bei Aufgabe früherer Rechtsprechung]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10, zfs 2010, 469; Beschluss vom 29.12.2016 – 3 Ss OWi 1566/16, juris Rn. 7 [jew. zur Wahrscheinlichkeitsberechnung]; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12, NZV 2013, 47, 48; KG Berlin, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 Ws (B) 202/17, VRS 132, 58, 60; vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27.10.1999 – 3 StR 241/99, NJW 2000, 1350, 1351; Gabriel/Huckenbeck/Kürpiers, Über die Fragwürdigkeit der Berechnung einer Identitätswahrscheinlichkeit in anthropologischen Gutachten, NZV 2014, 346). In den übrigen Fällen unterliegen die Beurteilung der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Merkmalsausprägungen und damit die Einschätzung der Wichtigkeit der Merkmalsausprägung der Schätzung eines erfahrenen, morphologisch geschulten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 15.02.2005 – 1 StR 91/04, NStZ 2005, 458, 549; Thüringer OLG aaO. Rn. 17 f.). Auch diese Einschätzung ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung ihrer Schlüssigkeit zu ermöglichen, in den Urteilsgründen wiederzugeben um erkennbar zu machen, inwieweit die Häufigkeit des einzelnen Merkmals in der Bevölkerung zutreffend wiedergespiegelt werden kann oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt. (OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2007 – Ss (OWi) 4/07, NStZ 2008, 652, 653).”

Aber vielleicht hat es ja auch daran gelegen, dass es ein “umstrittener” Sachverständiger war:

Eine besonders kritische und in den Urteilsgründen auch nachvollziehbar gemachte Würdigung der Einschätzung des Sachverständigen durch den Tatrichter ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann veranlasst, wenn – wie hier, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 02.10.2007 – 19 U 8/07, juris sowie https://www.merkur.de/bayern/…html und https://www.waz.de/staedte/bochum/…html – belastbare Hinweise darauf vorliegen, dass sich gutachterliche Äußerungen des gewählten Sachverständigen in früheren Verfahren als nicht nachvollziehbar oder gar unrichtig erwiesen haben (OLG Braunschweig aaO. zum Sachverständigen “Dr. CS”). Es kann sich aus diesem Grund auch die Heranziehung eines weiteren Sachverständigen anbieten.”

Ich frage mich: Warum nimmt man den Sachverständigen eigentlich?

Das AG Dortmund, die Geschwindigkeitsüberschreitung und die Fahrtunterbrechung

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Und zum Schluss dann noch das AG Dortmund, Urt. v. 04.07.2017 – 729 OWi-265 Js 968/17 -173/17 – ergangen in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Geschwindigkeitsüberschreitung. Bei dem Betroffenen handelt es sich – wie eine ehemalige Kollegin sagen würde – um einen “viel beschossenern Hasen”. Das AG hat folgende Feststellungen getroffen:

“Am 16.01.2017 um 13:02 Uhr befuhr der Betroffene in Dortmund die C-Straße etwa 100 Meter westlich in Höhe Walter-Behrendt-Straße als Führer eines Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen pp. Der Betroffene war zuvor von der B236 auf die C-Straße gefahren. Kurz hinter der genannten Stelle folgte das Ortseingangsschild der Stadt Dortmund. Der beschriebene Tatbereich war dementsprechend außerörtlich.

An der Tatörtlichkeit führte zur Tatzeit die Polizei Dortmund durch den Polizeibeamten A eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät ESO ES 3.0 durch, das zur Tatzeit entsprechend der Bedienanleitung und in gültig geeichtem Zustand durch den genannten Zeugen eingesetzt wurde. Bei der C-Straße handelt es sich um eine großzügig ausgebaute außerörtliche Straße, die aus Sicht des Betroffenen nach Abfahren von der B236 zweifach mit Zeichen 274 „50 km/h“ beschildert ist, so dass die Höchstgeschwindigkeit auf diesen Wert festgelegt wurde.

Unmittelbar vor der Messstelle befindet sich aus Sicht des Betroffenen rechtsseitig eine Zufahrt mit einem Wendehammer zu einem Betriebsgelände. Es handelt sich hier um eine öffentliche Straßenverkehrsfläche, die jedoch nur zu den einen Betrieb rechtsseitig unter der Anschrift C-Straße Nr. Y führt. Der Betroffene suchte diesen Betrieb auf. Er befand sich ca. eine dreiviertel Stunde in dem Betrieb und fuhr dann nicht von dort aus zurück in Richtung B236, sondern weiter in Richtung Dortmunder Innenstadt. Aus Richtung B236 kommend befindet sich ca. 850 Meter vor der C-Straße Nr. Y ein erstes Verkehrszeichen 274 mit der Beschilderung 50 km/h. Wegen des Aussehens der Straße an diesem Ort und der Beschilderung wird auf das Lichtbild Nr. 4 der von dem Polizeibeamten B zur Akte gereichten Lichtbildmappe Bezug genommen. Ein weiteres gleichartiges Zeichen findet sich etwa 600 Meter vor der Einfahrt C-Straße Nr. Y. Hierzu wird auf das Lichtbild 6 der genannten Fotodokumentation Bezug genommen. Die Bezugnahmen finden statt gemäß § 267 Abs. I Satz 3 StPO.

Wegen der Straßenführung und wegen des Einfahrtsbereichs mit Wendehammer an der Anschrift C-Straße Nr. Y wird auf das Lichtbild Bl. 43 d.A. Bezug genommen gemäß § 267 Abs. I Satz 3 StPO. Es handelt sich hierbei um ein Lichtbild aus Google Maps, das mittig des Bildes den Wendehammer zeigt und die C-Straße von oben nach unten. Der Betroffene fuhr aus dem oberen Lichtbildbereich zunächst in den Wendehammer hinein, parkte dort und fuhr dann wieder aus dem Wendehammer in den unteren Bereich der C-Straße hinaus. In diesem unteren Bereich befand sich dann auch die Messstelle. Der Betroffene überschritt an der Messstelle mit seinem Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Er konnte mit einer Geschwindigkeit von 87 km/h gemessen werden. Abzüglich eines Sicherheitsabschlages von 3 km/h ergaben sich damit eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h und damit eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 34 km/h.

Der Betroffene wendete sich nicht gegen die Messung an sich. Er beschrieb, dass er als Fahrzeugführer das fragliche Fahrzeug zur Tatörtlichkeit gefahren habe. Es sei zunächst wegen eines beruflichen Termins in die besagte Firma an der C-Straße Nr. Y gefahren. Er habe hier bei der Hinfahrt die beiden Geschwindigkeitsbeschränkungsschilder nicht bewusst wahrgenommen, sei aber mit 50 km/h zu der Firma hingefahren. Er habe dann etwa eine dreiviertel Stunde einen Geschäftstermin da gehabt und sei auf die C-Straße zurückeingebogen und hier in Richtung Dortmund gefahren. Das Ortseingangsschild habe er erst nach der Messung passiert. Ein erneutes 50 km/h Geschwindigkeitsbegrenzungsschild sei nach Einfahrt auf die C-Straße für ihn nicht wahrnehmbar gewesen, so dass er geglaubt habe, er könne hier die übliche außerörtliche Geschwindigkeit von 100 km/h fahren.”

Und dazu dann das AG im Urteil:

“Soweit der Betroffene meinte, er habe die Geschwindigkeitsbeschränkung für den Bereich unmittelbar vor der Messstelle nicht sehen können, so konnte das Gericht aufgrund der dargestellten und in Augenschein genommenen Lichtbilder zunächst die Straßenführung erkennen anhand der beschriebenen Google Maps-Karte. Hieraus ergab sich, dass es sich bei dem Wendehammer und der Zufahrtsstraße zu der Firma, in der der Betroffene seinen Geschäftstermin hatte, lediglich um eine wie eine öffentliche Straße ausgebaute Betriebszufahrt handelte. Der Betroffene musste also bei Wiedereinfahren auf die Straße, die er bereits zuvor entlang gekommen war, damit rechnen, dass die bereits zuvor angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit auch weiterhin bestehen werde.2

Mit dem Leitsatz:

“Eine Geschwindigkeitsbeschränkung ist auch dann noch von einem Betroffenen zu beachten, wenn er nach deren Beginn eine Fahrtpausein einer Stichstraße einlegt und dann in gleicher Fahrtrichtung weiterfährt.

Na ja, ob das in der Allgemeinheit richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Es kommt sicherlich auf die Länge der Pause an. Bei der hier festgestellten 3/4 Stunde mag es passen, bei längeren Pausen m.E. nicht.

Der dürstende Hund im Pkw, oder: Tierquälerei

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Schon etwas älter ist das AG München, Urt. v. 29.11.2017 – 1115 OWi 236 Js 193231/17, aber es passt dann jetzt ganz gut in die Jahreszeit. Denn die warmen Tage kommen (hoffentlich) und Wärme/Hitze spielt in dem Urteil eine Rolle. Es geht nämlich um eine Betroffene, die vom AG schuldig gesprochen worden ist, fahrlässig einem Hund erhebliche Leiden zugefügt zu haben. Das ist/war eine Ordnungswidrigkeit gem. §§ 2, 18 Abs. 1 TierschutzG – kurz: Tierquälerei.

Das AG hat folgende Feststellungen getroffen:

“Am 13.09.2016 zwischen 11.00 Uhr und 11.30 Uhr parkte die Betroffene ihr Fahrzeug amtliches Kennzeichen M-xxx in Hof, an der Ecke Jaspisstein/Ottostraße. Obwohl das Fahrzeug der prallen Sonne ausgesetzt war, ließ sie ihren Hund, eine Rottweiler/Doggenmischung in der prallen Sonne bei Außentemperaturen laut Wetterwarte Hof von 25 Grad Celsius zurück. Lediglich die hintere Scheibe der Beifahrerseite war einen Spalt, maximal 5 cm geöffnet. Alle anderen Fenster waren verschlossen. Wasser stand dem Hund nicht zur Verfügung. Er hatte bereits blutunterlaufene Augen, Schaum vor dem Mund und hyperventilierte. Die starke Erhitzung im Fahrzeug erzeugte eine andauernde Wärmeempfindung des Hundes. Dadurch entstand bei diesem die Motivation, einen kühleren, schattigen Ort aufzusuchen. Da der Hund den Pkw nicht verlassen konnte, blieb das Hitzeempfinden bestehen. Der Hund erlebte seine Unfähigkeit, die Situation im Rahmen seiner Möglichkeiten zu bewältigen. Beim Hecheln des Hundes ging über den Atmungstrakt dem Körper vermehrt Wasser verloren, eine Austrocknung war die Folge.”

Die Betroffene hatte das anders dargestellt: “.………., sie habe den Hund bei offenem Autofenster maximal 20 Minuten im Auto gelassen. Außerdem habe sich eine Wasserschale im Auto befunden. Dabei habe sie das Auto circa alle 10 Minuten kontrolliert und beim zweiten Nachsehen sei bereits die Polizei vor Ort gewesen, die den Hund unter Augen des Sohnes gewaltsam mitgenommen habe. Ferner seien blutunterlaufene Augen bei der Rasse des Hundes ganz normal, ebenso das Hecheln, wenn es warm ist. “

Das AG hat das aufgrund von Zeugenaussagen als widerlegt angesehen und die Betroffene zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt. Zur Fahrlässigkeit führt es aus:

“Die Betroffene hätte die Gefahr für den Hund durchaus erkennen können. In der Presse wird häufig über solche Fälle, sei es im Auto zurückgelassene Kleinkinder oder Tiere mit den entsprechenden Gefahren berichtet. Sie hätte auch ohne weiteres durch Öffnen der Fenster und Bereitstellen einer Wasserschale, das Leiden des Hundes verhindern können.”

Fahrverbot I: Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts beim Überholen, oder: Natürlich Fahrverbot

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Heute ist 1. Maifeiertag. Wenn ich allerdings so aus dem Fenster schaue, wird es mit einer Fahrradtour und/oder einem Maigang hier in Münster nichts werden. Es ist trüb und regnerisch, also: Passen wir uns dem 1. Mai-Motto an: Tag der Arbeit 🙂 . Und an dem gibt es Entscheidungen zum Fahrverbot nach § 25 StVG. Ganz normal, wie immer drei Entscheidungen.

Die erste ist dann der OLG Bamberg, Beschl. v. 12.02.2018 – 2 Ss OWi 63/18. Das AG hatte bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von dem an sich verwirkten Regelfahrverbot abgesehen. Begründung des AG: ein “grober Pflichtenverstoß iSd § 25 I 1 StVG erfordere kumulativ das Vorliegen von zwei Elementen, nämlich objektiv eine besondere Gefährlichkeit des Verstoßes (Erfolgsunwert) und subjektiv eine gesteigert nachlässiges, leichtsinniges oder gleichgültiges Verhalten (Handlungsunwert). Vorliegend könne aus dem nur kurzfristigen Beschleunigen beim Überholen eines Busses bei vollkommen freier Fahrbahn weder auf eine gesteigerte Fahrlässigkeit noch auf eine nicht rechtstreue Gesinnung geschlossen werden kann; vielmehr habe sich der Betr. in dem Wissen, dass sich im weiteren Streckenverlauf eine kilometerlange Passstraße mit durchgehendem Überholverbot befinde, fahrlässig zum Überholen entschlossen, wobei zu seinen Gunsten ferner zu werten sei, dass die Straße am Tatort äußerst übersichtlich und besonders breit ausgebaut und zudem schnurgerade verlaufe und sehr gut einsehbar sei. Im Übrigen weise der Tatort weder Wohnbebauung noch Fußgängerverkehr auf, weshalb nicht von einem Regelfall für ein Fahrverbot auszugehen sei.”

Dass das beim OLG Bamberg nicht halten würde, lag auf der Hand. Das OLG hat im OLG Bamberg, Beschl. v. 12.02.2018 – 2 Ss OWi 63/18 – aufgehoben. Begründung – ohne die üblichen Textbausteine:

“Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vermögen die bisherigen Feststellungen des AG eine Ausnahme von der gebotenen Verhängung des Regelfahrverbotes auf der tatbestandlichen Ebene nicht zu rechtfertigen.

a) In objektiver Hinsicht beschreiben die Tatbestände, für die § 4 I BKatV […] das Fahrverbot als Regelsanktion vorsieht, Verhaltensweisen, die besonders gravierend und gefahrenträchtig sind. Beim ihrem Vorliegen kommt es auf die weiteren Einzelheiten der Verkehrssituation regelmäßig nicht an (BGHSt 43, 241, 248). Insbesondere kann die Beschaffenheit des Tatortes den Betr. grundsätzlich nicht entlasten. Die vom AG herangezogenen örtlichen Verhältnisse, nämlich dass „die Straße am gerichtsbekannten Tatort äußerst übersichtlich und besonders breit ausgebaut und zudem schnurgerade und sehr gut einsehbar ist“, sowie das Nichtvorliegen von „Wohnbebauung oder Fußgängerverkehr“ am Tatort vermögen den Erfolgsunwert des Regelfalls nicht zu beseitigen (Burhoff/Deutschera.O. Rn. 1581; vgl. OLG Düsseldorf DAR 1997, 409; BayObLGSt 1994, 56). Diese Umstände belegen nicht, dass die von der erheblichen Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit ausgehende abstrakte Gefahr am Tatort ausgeschlossen war, dies insbesondere bei einem Überholvorgang, bei dem der überholte Bus, je nach Blickwinkel, den überholenden Pkw zeitweise verdeckte.

b) Hinsichtlich des subjektiven Elements (Handlungsunwert) lässt nicht das schlichte Fehlen einer „gesteigerten Fahrlässigkeit“ beim Betr. die Vermutungswirkung des Regelfalles einer groben Pflichtwidrigkeit entfallen, sondern erst das Vorliegen von Ausnahmeumständen, die den objektiv groben Verstoß (hier Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h) in subjektiver Hinsicht nicht besonders verantwortungslos erscheinen lassen. Nur wer aufgrund geringen Verschuldens (etwa weil er infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste) einen – wie hier – objektiv schwerwiegenden Verkehrsverstoß begeht, bedarf nicht der Einwirkung des Fahrverbots neben einer Geldbuße, um ihn dazu anzuhalten, die Verkehrsvorschriften zu beachten (Hentschel NZV 1997, 527, 528).

aa) Das kurzfristige Beschleunigen beim innerörtlichen Überholvorgang auf immerhin 82 km/h bei vollkommen freier Fahrbahn vermag die gewichtige Indizwirkung des hier gegebenen Regelfalles nicht auszuräumen. Ein Überholvorgang, bei dem die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten werden darf (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 44. Aufl., § 5 StVO Rn. 32, § 3 StVO Rn. 45a), wird wissentlich und willentlich durchgeführt. Beim Überholen ist der überholende Kraftfahrer allgemein zu erhöhter Sorgfalt verpflichtet (vgl. OLG Köln DAR 1967, 17). Das verfahrensgegenständliche Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit anlässlich eines innerörtlichen Überholvorgangs bei „vollkommen freier Fahrbahn“ führt daher nahezu zwingend zur Annahme einer auch subjektiv groben Pflichtverletzung. Ein Fehler, wie er auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft (etwa in Form eines sog. Augenblickversagens), ist ausgeschlossen.

bb) Schließlich ist es auch verfehlt, eine gleichsam notstandsähnliche Situation deshalb anzunehmen, wie es das AG scheinbar getan hat, weil sich der Betr. zum Überholen „in dem Wissen“ entschloss, dass vor ihm eine kilometerlange Passstraße mit durchgehendem […] Überholverbot […] lag.”

Fahrverbot II: Beharrlichkeit, oder: Wenn ein früheres Fahrverbot “gewirkt” hat

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Die zweite Fahrverbotsentscheidung kommt vom AG Neuruppin. Das AG Neuruppin, Urt. v. 30.10.2017 – 82.1 OWi 3421 Js-OWi 2986/17 (67/17) – ist schon etwas älter. Der Kollege Lauterbach aus Solingen hat es mir aber erst vor kurzem geschickt.

In der Entscheidung geht es um einen “Außendienstler”, der schon vier mal straßenverkehrsrechtsrechtlich in Erscheinung getreten ist, und zwar:

“Am 09.10.2015 (rechtskräftig am 29.10.2015) wurde gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid der Bußgeldbehörde Rheinpfalz in Speyer eine Geldbuße von 80,00 € verhängt wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h bei zulässigen 100 km/h am 10.08.2015.

Am 16.06.2016 (rechtskräftig am 06.07.2016) verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Köln gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 70,00 € wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h am 22.02.2016.

Am 26.08.2016 (rechtskräftig am 15.09.2016) verhängte die Bußgeldbehörde in Speyer erneut ein Bußgeld in Höhe von 100,00 € gegen den Betroffenen wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften am 07.06.2016. Außerdem wurde ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet.

Am 18.10.2016 (rechtskräftig am 05.11.2016) verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Herne gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 115,00 € wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h am 17.08.2016.”

Am 24.06.2018 kommt es dann zu der Geschwindigkeitsüberschreitung, die Gegenstand des Urteils ist. Das AG setzt – womit man an sich rechnen musste – aber kein (neues) Fahrverbot fest

“Außerdem liegt ein Regelfall für ein Fahrverbot nach 25 StVG vor, da durch die Erfüllung des Tatbestandes nach 4 Abs. 2 BKatV (eine Überschreitung der Geschwindigkeit um mindestens 26 km/h innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft einer vorhergehenden Buße wegen einer Überschreitung um mindestens 26 km/h) grundsätzlich eine beharrliche Pflichtverletzung zu vermuten ist, welche ein Fahrverbot indiziert.

Diese Vermutung lässt jedoch nicht die Pflicht zur Einzelfallprüfung entfallen.

Als beharrlich zählen Verkehrsverstöße, die zwar nicht zu den groben Verkehrsverstößen zählen, aber wiederholt begangen werden und die darauf schließen lassen, dass es dem Betroffenen an der für Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und notwendigen Einsicht in zuvor begangenes und geahndetes Unrecht fehlt (BGHSt 38,231).

Es handelt sich um eine wiederholte Geschwindigkeitsübertretung. Gegen den Betroffenen ist vor dieser Tat am 24.06.2016 wegen einer einschlägigen Tat, rechtskräftig bereits am 29.10.2015 ein Bußgeld verhängt worden.

Vor dieser Tat am 24.06.2016 hatte der Betroffene bereits am 07.06.2016 die Geschwindigkeit um 30 km/h überschritten und wurde dafür am 26.08.2016 mit Rechtskraft am 15.09.2016 (also nach der hier in Rede stehenden Tat ! ) zu einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt.

Dieses Fahrverbot hat er in der Zeit vom 26.11.2016 – 26.12.2016 angetreten.

Die hier zu beurteilende Tat vom 24.06.2016 erfolgte also in Kenntnis nur der geahndeten Tat mit Rechtskraft vom 29.10.2015.

Alle weiteren Taten wurden erst nach dem vorliegenden Tatdatum später rechtskräftig.

Voraussetzung für die Annahme der Beharrlichkeit und die daraus folgende Anordnung eines Fahrverbots aus diesem Grunde ist die Begehung einer neuen Tat in Kenntnis von begangenem und geahndeten Unrecht (BGH a.a.O.).

Zur Überzeugung des Gerichts haben die Auswirkungen des bereits vollstreckten Fahrverbots vom 26.11 26.12.2016 bereits eine ausreichende erzieherische Wirkung auf den Betroffenen erzielt.

Der Betroffene ist seit dem verbüßten Fahrverbot nicht mehr auffällig geworden. Die Anordnung eines an sich nach dem Regelsatz der Bußgeldverordnung gebotenen weiteren Fahrverbotes (wegen einer geahndeten Tat von 2015) ist zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr erforderlich (vgl. OLG Brandenburg 19.03.2015 -(2b) 53 Ss-OWi 62/15(38/15) -und vom 16.09.2014 -(2B) 53 SsOWi 456/14(217/14) m.w.N.”

Und: Hilfsweise prüft das AG eine “unbillige Härte” und bejaht die wegen eines drohenden Arbeitsplatzverlustes. Ob das alles in anderen Bundesländern so rechtskräftig geworden wäre, wage ich zu bezweifeln.


Fahrverbot III: Wirtschaftliche Härten beim Selbständigen, oder: Die Schonfrist ist ein “Genuss”….

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Und zum Abschluss weise ich dann noch einmal auf das AG Dortmund, Urt. v. 04.07.2017 – 729 OWi-265 Js 968/17 -173/17 – hin. Über das habe ich vor kurzem ja schon einmal berichtet, und zwar wegen der Fragen zum Schuldspruch (vgl. hier: Das AG Dortmund, die Geschwindigkeitsüberschreitung und die Fahrtunterbrechung). Heute dann die Rechtsfolgen, und zwar das vom AG verhängte Fahrverbot. Der Betroffene war selbstständig tätig und hatte berufliche Härten geltend gemacht. Kein Erfolg:

“Der Betroffene hat wirtschaftliche Härten geltend gemacht. Er hat geltend gemacht, dass er eine Einzelfirma habe und keinerlei Angestellte. Er arbeite im Bereich des Ladenausbaus und sei dementsprechend auch in dieser Tätigkeit am Tattage in Dortmund gewesen. Im Jahre 2013, 2014 und 2015 habe er nur Verluste gemacht. Er lebe am Existenzminimum. Ohne Führerschein könne er seine Arbeit nicht nachgehen. Er habe zu Hause lediglich einen Büroraum, in dem er seine Planungen durchführe. Er müsse ansonsten in dem Bereich Münster, Osnabrück und auch im Bereich des Ruhrgebietes tätig werden. Er könne so nicht auf seine Fahrerlaubnis  verzichten. Derzeit habe er zwei größere Objekte in Münster und Osnabrück. Für ihn sei es insoweit nicht zumutbar, auf öffentliche Verkehrsmittel verwiesen zu werden.

Das Gericht hatte dem Betroffenen bereits in einem ersten Hauptverhandlungstermin ausdrücklich den Hinweis erteilt, dass er zu etwaigen wirtschaftlichen und beruflichen Härten nicht nur vortragen müsse, sondern auch derartige Härten glaubhaft machen müsse. Das Gericht hat den Betroffenen im Rahmen des Fortsetzungstermins darauf nach langem Warten auf das Erscheinen des Betroffenen ausführlich befragt und auch zu etwaigen mitgebrachten Unterlagen befragt. Der Betroffene erklärte, er könne keine Unterlagen vorlegen. Er habe keine Auftragsbücher dabei. Er könne keine Buchhaltung vorlegen. Er könne auch keine Unterlagen vom Steuerberater vorlegen und auch keine Einkommensteuerbescheide. Er könne derartige Unterlagen auch nicht kurzfristig besorgen.

Dementsprechend konnte das Gericht wirtschaftliche oder berufliche Härten tatsächlich nicht feststellen. Im Übrigen konnte der Betroffene tatsächlich auch nicht glaubhaft machen, warum er nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln seine Arbeitstätigkeit weiterführen könnte für die Dauer eines Monats, zumal er in den Genuss der Schonfristgewährung nach § 25 Abs. II a StVG kommt.”

Ist bei dem “viel beschossenen” Hasen – immerhin fünf Voreintragungen – sicherlich vertretbar, einmal ist eben Schluss. Allerdings hat man so ein wenig den Eindruck, dass das AG über das Verhalten des Betroffenen verärgert war: “m Rahmen des Fortsetzungstermins darauf nach langem Warten auf das Erscheinen des Betroffenen ” und ob die “Schonfrist” des § 25 Abs 2a StVG nun ein “Genuss” ist, wird man diskutieren können/müssen. M.E. ist es kein “Genuss”, den das AG gewährt, sondern unter den Voraussetzungen des § 25 Abs. 2a StVG – zwei Jahre vor der OWi kein Fahrverbot – eine vom Gesetz zwingend vorgesehene Rechtsfolge für die Vollstreckung des Fahrverbotes.

Das AG Coesfeld und das “eingeklemmte” Mobiltelefon, oder: Altes oder neues Recht, was denn nun?

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Nun, alle den 1. Mai gut überstanden? Hier in Münster war mal wieder die Hölle los. Nein, keine Krawalle, aber HordenGruppen junger/jüngerer Leute, die durch die Stadt ziehen und dabei die mitgeführten Ghettoblaster so laut stellen, dass jeder hören kann – ob er will oder nicht -, welche Musik man mag. Ich mag die Musik allerdings nicht. Aber wahrscheinlich werde ich dann doch alt 🙂 .

Zur Sache und damit zu Jura. Als erstes das AG Coesfeld, Urt. v. 26.02.2018 – 3b OWI-89 Js 2030/17-306/17, das mir der Kollege H. Urbanzyk aus Coesfeld – mein Imker 🙂 – hat zukommen lassen. Das Urteil lässt mich – hoffentlich nicht nur mich – ein wenig ratlos zurück. Abgesehen davon, dass der Amtsrichter wohl keine Korrektur gelesen hat – es sind eine ganze Reihe Tippfehler pp. vorhanden -, was man jedoch schnell vergisst – passiert mir hier auch immer wieder und es bleiben Tippfehler in den Postings, bleibt eine – allerdings wichtige – Frage:

Welches Recht hat das AG denn nun angewendet? Es handelt sich um einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO, also “Mobiltelefon” im Straßenverkehr. Tatzeit war nach den Feststellungen der 19.06.2017, die Neuregelung des § 23 Abs. 1a StVO (vgl. dazu hier Elektronische Geräte/Mobiltelefon im Straßenverkehr aus ZAP Heft 8/2018, F 9 S. 987) ist aber erst am 19.10.2017 in Kraft getreten. Also hätte noch die alte Regelung angewendet werden müssen. Die hat das AG aber nicht angewendet, denn im Urteil heißt es u.a.: “Auch die hier anzuwendende neue Fassung des § 23 Abs. 1a StVO setzt nicht voraus, …“. Also neue Regelung, wofür dann auch die weiteren Ausführungen sprechen? Oder vielleicht doch nicht? Denn die vom AG ausgeurteilten Rechtsfolgen entsprechen der alten Regelung. Die sah nämlich nur eine Regelgeldbuße von 60 € vor, die das AG auch als Basis bei der Bußgeldbemessung zugrunde gelegt hat. Nach der neuen Regelung hätte es aber von 100 € ausgehen müssen. Also, Wirrwarr.

Und in der Sache: Es handelt sich um einen dieser “Klemmerfälle”, denn das AG stellt fest: “Dabei konnten [sie = die beobachtenden Polizeibeamten] den Betroffenen sehen, der mit seinem Fahrzeug auf dem rechten Fahrstreifen weiterfuhr und dabei ein Mobiltelefon mit der linken Schulter ans linke Ohr presste und in das Mobiltelefon sprach. In der Anhaltesituation befand sich das Mobiltelefon in einer Halterung an der Windschutzscheibe. “

Jetzt lassen wir es mal dahingestellt, ob die Polizeibeamten wirklich alles das haben sehen können, was das AG feststellt. Zumindest haben es wohl nicht “die” (drei) Polizeibeamten gesehen, denn zwei haben sich nach den Ausführungen des AG nicht konkret erinnern können. Und ob der dritte alles hat sehen können und das Mobiltelefon “wiedererkannt” hat….. na ja. Aber ist Beweiswürdigung….

Das AG sieht die o.a. Situation als einen Fall des § 23 Abs. 1a StVO an, und zwar wohl sowohl nach altem als auch nach neuem Recht – s.o. “Wirrwarr”. Das begründet es wie folgt:

“Die Benutzung des Mobiltelefons im Sinne dieser Vorschrift durch ein Halten oder Aufnehmen ist nach Auffassung des Gerichts auch durch ein Einklemmen des Mobiltelefons zwischen Schulter und Ohr erfüllt, da auch durch diese Handhabung ebenfalls die verbotene Ablenkung des Verkehrsteilnehmers verbunden mit seiner körperlich eingeschränkten Bewegungssituation eintritt. Auch die hier anzuwendende neue Fassung des § 23 Abs. la StVO setzt nicht voraus, dass das Mobiltelefon mit der Hand aufgenommen oder gehalten wird. Es ist weiterhin nur die Rede von  „aufgenommen” oder „gehalten”, während im Hinblick auf die nun erfassten elektronischen Geräte zahlreiche Neuerungen und Ergänzungen erfolgt sind. Aus diesem Kontext heraus zeigt sich jedoch deutlich die Intention des Gesetzgebers, der weiterhin alle Verhaltensweisen sanktionieren will, die zu einer Ablenkung des Verkehrsteilnehmers durch, elektronische Geräte führt. Bei den zugelassenen elektronischen Geräten nach § 23 Abs. la Nr. 2 a) und b) StVO fällt auf, dass diese nur erlaubt sind, wenn sie mit einer Sprachsteuerung oder Vorlesefunktion ausgestattet sind und mit dieser benutzt werden oder nur eine kurze Blickzuwendung zum Gerät erforderlich ist, Ein längeres Berühren eines elektronischen Gerätes oder  gar ein haltekrafterforderndes Tragen am Körper ist auch weiterhin nicht gestattet. Dies wird auch deutlich unter Berücksichtigung von § 23 Abs. la S. 3 StVO, der selbst ein auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät wie eine Videobrille verbietet, obwohl das Tragen dieses elektronischen Gerätes die Bewegungsfreiheit des Fahrzeugführers in körperlicher Hinsicht nicht einschränkt. Umso mehr muss deshalb ein Halten eines elektronischen Gerätes zwischen Schulter und Ohr von diesem Verbot erfasst sein, da diese verkrampfte Körperhaltung das Sichtfeld des dadurch schräg und leicht gebückt sitzenden Fahrzeugführers einengt und zugleich seine Reaktionsmöglichkeiten bei der Benutzung des Lenkrades einschränkt, da eine Schulter mitsamt des Armes dauerhaft mit Muskelkraft dafür sorgen muss, dass das Mobiltelefon an das Ohr des Fahrzeugführers gepresst wird. Auch wenn die  Rechtsprechung bisher nicht explizit auf diese Positionierung eines Mobiltelefones Bezug genommen hat, so steht diese Auslegung doch im Einklang mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm, welches noch zum alten Wortlaut des Tatbestandes ausgeführt hat, dass die Vorschrift nach der gesetzgeberischen Intention gewährleisten soll, ist der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobiltelefons beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgaben frei hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.12.2012, 5 RBs 4/12). Beim Einklemmen des Mobiltelefons zwischen Schulter und Ohr hat der Fahrzeugführer gerade nicht beide Hände für die Bewältigung der Fahraufgaben frei, da eine Hand lediglich kraftlos auf das Lenkrad gelegt werden kann, während die gesamte Muskelkraft der Schulter und Armpartie auf die Fixierung des Mobiltelefons verwandt werden muss und gerade nicht für die Bewältigung der Fahraufgaben verwendet werden kann.”

Nun ja, ob das in der Argumentation so richtig ist? Ich habe das zwar auch mal so vertreten, bin davon aber abgerückt. Denn m.E. braucht man diese Klimmzüge – oder besser: Klemmzüge 🙂 – auch gar nicht. Denn legt man die obergerichtliche Rechtsprechung zugrunde, wonach Benutzung – in der Vergangenheit des Mobiltelefons, jetzt: des elektronischen Geräts – nicht nur der eigentliche Nutzungsvorgang ist – hier also das Telefonieren, sondern auch alle damit zusammenhängenden Vor- und Nachbereitungsarbeiten/-handlungen, dann reicht auch das Telefonieren mit dem “eingeklemmten” Gerät. Das wird zwar nicht (mehr) gehalten/aufgenommen, aber es hat gehalten/aufgenommen werden müssen, um zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt zu werden – Vorbereitung – und dann, um in die “Halterung an der Windschutzscheibe” – Nachbereitung – gesteckt zu werden. Und für beides wird – neues Recht – mehr als eine “nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich” gewesen sein. Allerdings haben wir ggf. das Problem, wann denn nun der Betroffene das Gerät eingeklemmt hat.  Vielleicht ja schon vor Anlassen des Motors? Aber das dürfte dann ein wenig (?) der Lebenserfahrung widersprechen.

Das Urteil ist übrigens rechtskräftig geworden. Nein, nicht der Kollege Urbanzyk hat es rechtskräftig werden lassen, der war nämlich nur Unterbevollmächtigter. Sondern die Kollegen, die den Betroffenen als Hauptbevollmächtigte vertreten/verteidigt haben. Allerdings: Selbst wenn das OLG Hamm im Rechtsbeschwerdeverfahren einen Rechtsfehler angenommen hätte, der, da nicht klar ist, welches Recht denn nun angewendet worden ist, m.E. vorliegt, hätte sich immer noch die Frage des Beruhens (§ 337 StPO gestellt. Und da kann man sagen – wenn man mal alle anderen Fragen außen vorlässt: Auf dem Fehler beruht das Urteil nicht, denn es sind ja nur 80 € Geldbuße – auf der Basis 60 € Regelgeldbuße – festgesetzt worden. Nach neuem Recht hätten es aber mindestens 100 € sein müssen.

Man sieht an dem Urteil übrigens sehr schön, welche Mühe/Arbeit es macht, wenn Amtsgerichte nicht sorgfältig arbeiten.

Eindeutiger Meldeschriftsatz für Schadenregulierung eines Verkehrsunfalles, oder: Keine Verteidigervollmacht

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich ebenfalls um eine AG-Entscheidung, und zwar um den AG Tiergarten, Beschl. v. 07.03.2018 – (297 OWi) 3022 Js-OWi 1116/18 (110/18). Er kommt aus der Rubrik/dem Reservoir: Vollmacht und Verjährung. Ergangen ist er in einer Bußgeldsache, die in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall gegen den Betroffenen anhängig war. In der Sache wird der Bußgeldbescheid an den Rechtsanwalt als Verteidiger des Betroffenen zugestellt. Der hatte sich bis dahin aber nur mit einem  “Meldeschriftsatz” gemeldet, in dem es geheißen hat, “von seiner „Mandantschaft … in der Schadenregulierung des Verkehrsunfalles vom 17.07.2017 … mit der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Interessen beauftragt“ worden zu sein.”

Das AG sagt: Das reicht nicht, um als “Verteidiger” ausgestattet mit einer Zustellungsvollmacht angesehen zu werden:

“Aus dieser eindeutigen Formulierung – die auch nicht dem bewusst missverständlichen Vorgehen von Verteidigern in den Fällen der sog. „Verjährungsfalle“ entspricht (vgl. hierzu Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 33 Rdnr. 35) – ergab sich unmissverständlich, dass eine Vertretung nur für zivilrechtliche Fragen vorliegt, nicht jedoch auch für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Einen Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt im Zweifel immer als Verteidiger auftritt, gibt es nicht (Göhler a.a.O. § 51 Rdnr. 44a).

Daran ändert auch nichts, dass in der hierzu mit Schriftsatz vom 15.08.2017 nachgereichten Vollmachtsurkunde formularmäßig „zur Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen …“ aufgeführt ist. In Fällen, in denen – wie hier – die Vollmachtsurkunde eine Vertretung in weiteren Bereichen ausweist als im Meldeschriftsatz angegeben, geht der Wortlaut des Meldeschriftsatzes vor. Denn für eine wirksame Vertretung genügt es nicht, dass der Mandant den Rechtsanwalt mandatiert und eine entsprechende schriftliche Vollmacht unterzeichnet, sondern die Mandatierung muss erst noch von dem Rechtsanwalt angenommen werden, um wirksam zu werden. In welchem Umfang sie angenommen wurde, ergibt sich in aller Regel aus dem Schriftsatz, mit dem sich der Rechtsanwalt erstmals zum Verfahren meldet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, Vorb. § 137 Rdnr. 4).

Erst mit dem Einspruchsschreiben vom 19.10.2017, dem eine formularmäßige „Strafprozessvollmacht“ vom 18.10.2017 beigefügt war, hat sich der Rechtsanwalt zum hiesigen Ordnungswidrigkeitverfahren als Verteidiger des Betroffenen gemeldet. Diese spätere Verfahrensentwicklung vermag jedoch nicht die unzulässigerweise an ihn erfolgte Zustellung des Bußgeldbescheides nachträglich zu heilen, weil vorliegend nicht von einem Fall der sog. „Verjährungsfalle“ auszugehen ist (vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 2008, 2727).”

Nun ja, so weit so gut…. Allerdings: Warum eigentlich noch eine Vollmacht “nachgereicht”…..?

Rechtsmittel durch einfache Email?, oder Bloß nicht

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Und zum Schluss des Tages dann noch den OLG Hamm, Beschl. v. 28.12.2017 – 4 Ws 241/17. Der untermauert noch mal den Rat: Rechtsmittel durch Email? Das sollte man lieber lassen, denn:

“Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht in der nach § 306 Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Form, d.h. zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich, eingelegt worden ist. Der Verurteilte hat – trotz erhaltener Rechtsmittelbelehrung – das Rechtsmittel nur durch einfache, nicht über eine elektronische Signatur nach § 41a StPO verfügende E-Mail, gesandt an die Poststelle des LG Bielefeld eingelegt. Dies erfüllt die o.g. Formanforderungen nicht (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 536; LG Gießen NStZ-RR 2015, 344; LG Zweibrücken, Beschl. v. 07.07.2010 – Qs 47/10 – juris).”

Das mag demnächst anders werden/sein: §§ 32a ff. StPO, aber derzeit: Finger weg.

Und das gilt übrigens auch für das Bußgeldverfahren. Denn so – der AG Kassel, Beschl. v. 06.09.2017 – 384 OWi – 9433 Js 27079/17: Ein Einspruch durch einfache E-Mail ist unwirksam.

Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…

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War klar, welche Entscheidung heute den Opener macht. Oder? Natürlich der VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.,2018 – Lv 1/18. Den hat mir gestern der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog geschickt. Und er hat auch darüber als erster berichtet. Das ist auch gut/richtig so, denn der Kollege hat den Beschluss ja mit erstritten – denke ich. Und dann gilt: Ehre, wem Ehre gebührt, bzw. Er hat den Vortritt.

Der Kollege hat sein Posting: “Machtwort vom Verfassungsgericht: „Geblitzte“ Autofahrer müssen Messergebnisse überprüfen können!” überschrieben. Ich beginne meins mit “Paukenschlag”. Ich denke, beides ist richtig. Denn der Beschluss ist ein “Machtwort”, ein “Paukenschlag” oder auch Meilenstein. Und ein wenig auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen OLG-Entscheidungen, die um das Einsichtsrecht in Messunterlagen seit Jahren – “der” Cierniakaufsatz ist von Ende 2012 – einen (unverständlichen) Eiertanz veranstaltet haben, der nicht mehr nachvollziehbar. Ich erinnere nur an “Teufelskreis 1.0” oder “Teufelkreis 2.0”. Da war seit langem eine obergerichtliche Entscheidung fällig, ja überfällig. Und da man von den OLGs ja eine Vorlage an den BGH gescheut hat, gibt es sie nun als verfassungsgerichtliches Verdikt. Der Kollege Gratz und seine Mitstreiter haben es erstritten. Viele Amtsgerichte und auch OLG können sagen: Haben wir ja immer schon gesagt. Die anderen sollten sie sorgfältig lesen…..

Der Beschluss des VerfG Saarland ist fast 30 Seiten lang. Das bedeutet, dass man ihn hier nicht im Einzelnen darstellen kann, sondern dass ich auf den Volltext verweisen muss/möchte. Aber ein paar Eckpunkte/Kernaussagen möchte ich dann doch herausstellen, wobei ich die verfahrensrechtlichen Fragen in dem Beschluss mal außen vorlasse. Die lauten:

  • “Die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs….
  • Aus dem dem Gebot eines fairen Verfahrens folgenden Gebot der Waffengleichheit folgt, dass ebenso, wie dem “Ankläger” Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, einen Tatvorwurf nachzuweisen – was in Fällen der hier diskutierten Art leicht möglich ist, da der vom Gerät angezeigte Wert dafür genügt -, einem im Bußgeldverfahren Betroffenen Zugang zu den Informationen gewährt werden muss, die er benötigt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen oder durch einen Verteidiger verteidigen zu lassen….
  • Da die Verwaltungsbehörden den Einsichtsgesuchen der Verfahrensbevollmächtigten sowie den diesbezüglichen Verfügungen des Amtsgerichts nicht nachgekommen sind, hätte das Amtsgericht das Verfahren bis zur Herausgabe der Messdaten aussetzen sowie sicherstellen müssen, dass der Verfahrensbevollmächtigten eine Herausgabe dieser Daten nicht verwehrt wird. Denn da im Zeitpunkt der Hauptverhandlung diese Daten der Verfahrensbevollmächtigten und dem Sachverständigen nicht vorlagen, konnte eine effektive Verteidigung des Beschwerdeführers mit Vortrag von Messfehlern – wenn diese aufgetreten sein sollten – nicht vorbereitet werden. Damit ist dem Beschwerdeführer das Äußerungsrecht abgeschnitten bzw. dessen Ausübung faktisch unmöglich gemacht worden. Es liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs vor…….”
  • Auch die Ablehnung des in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gestellten Beweisantrags auf Einholung eines technischen Gutachtens verletzt das Gebot eines fairen Verfahrens, das Gebot des rechtlichen Gehörs und das Willkürverbot.
    Es ist willkürlich und unfair und begründet einen Gehörsverstoß, wenn nach Nichtzugänglichmachung der Messdaten – in dieser Situation – der Beweisantrag auf Einholung eines technischen Gutachtens zur weiteren Überprüfung der Messung auf Fehlerhaftigkeit mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Beschwerdeführer oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden. Eine solche Darlegung wäre nämlich erst nach Einsicht in die Messdaten möglich gewesen……..”

Schön, das alles lesen zu können. Und das drückt sich in dem zweiten Teil des Postings aus: “Der Rechtsstaat lebt.” Die Literatur hat so seit Jahren argumentiert, die OLG haben es zum Teil nicht lesen/sehen/machen wollen – und sind dafür m.E. nun zu Recht gerügt worden. Um einen Spruch aus der Stern-Geschichte mit den “Hitlertagebüchern” aufzugreifen: M.E. wird die Rechtsprechung zur Einsicht und Herausgabe in und von Messunterlagen umgeschrieben werden müssen.

Und ich füge an: Hoffentlich. Denn wir alle haben ja in den letzten Jahren die Klimmzüge lesen können, mit denen man das Einsichtsrecht verneint hat. Und ich wage die Voraussage: Das letzte Wort in der Frage ist noch nicht geschreiben/gesprochen. Die OLG, deren Rechtsprechung explizit als Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs angesprochen worden ist, werden versuchen, weiter zu mauern. Man wird neue Wege ersinnen – vielleicht: Ist ja “nur” eine Entscheidung aus dem Saarland, die interessiert uns hier in Bayern, NRW oder sonst wo nicht – , um an der Entscheidung aus dem Saarland dann doch vorbei zu kommen. Und da wird sich sicherlich auch “anbieten”, weiter an den Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu schrauben bzw. dort die Hürden noch höher zu legen, als man sie jetzt schon (unsinnigerweise) gezogen hat. Und da kann man dann nur hoffen, dass hoffentlich bald wieder ein Verfassungsgericht sagt: So nicht.

Aber das soll die Freude über den Beschluss des VerfG Saarland natürlich nicht trüben. Und: Nochmals Gratulation an den Kollegen Gratz.

Beim schweigenden Betroffenen ist die Entbindung ein Muss, oder: Wie oft denn noch?

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Es ist nicht so ganz einfach, nach dem Paukenschlag aus dem Saarland (vgl. hier den VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.,2018 – Lv 1/18 und dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) Entscheidungen zu bringen, die die Stimmung halten 🙂 . Ich will es dann versuchen, aber ob es klappt, weiß ich nicht

Ich schließe dann mal an mit dem OLG Hamburg, Beschl. v. o5.03.2018 – 6 RB 3/18. Er stammt aus dem auch schier unerschöpflichen Fundus zu den Entbindungs-/Verwerfungsfragen rund um die §§ 73, 74 OWiG. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, die eine Gelbuße in Höhe von 75 € zum Gegenstand hat, die gegen den Betroffenen festgesetzt wordne ist, weil er seinen Pkw nicht rechtzeitig zur Hauptuntersuchung vorgestellt hatte. Dre Betroffene lässt sich durch seinen Verteidiger zu dem Vorwurf ein und erklärt außerdem, dass er in einer Hauptverhandlung keine weiteren Angaben machen kann. Der Verteidiger beantragt die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen. An sich eine klare Sache. Aber: Das AG lehnte das AG mit der Begründung ab, die Anwesenheit des Betroffenen sei zur Sachverhaltsaufklärung weiterhin erforderlich. Der Einspruch wird verworfen. Die Quittung/Antwort kommt aus Hamburg: Das OLG hebt das Verwerfungsurteil auf.

“Das Amtsgericht hätte den Betroffenen bei Gewährung des rechtlichen Gehörs in Bezug auf seinen Entpflichtungsantrag nicht als säumig im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG behandeln dürfen, sondern dem Antrag entsprechen müssen. Der Tatrichter hat nämlich dem Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG stattzugeben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Entbindung vorliegen, wenn sich also der Betroffene zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht äußern, und seine Anwesenheit zur Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich ist (OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 2003 – Ss 169/03 Z -; BayObLG DAR 2001, 371 [372]; BayObLG DAR 2002, 133 [134]; BayObLG zfs 2002, 597; OLG Dresden zfs 2003, 209). Die Entscheidung steht nicht im Ermessen des Gerichts (OLG Hamm aaO; OLG Köln aaO). Gründe, die eine Ablehnung des Entpflichtungsantrags rechtfertigen konnten, lagen hier ersichtlich nicht vor, nachdem der Betroffene mit Schreiben vom 12. Oktober 2017 ausführliche Angaben zur Sache gemacht und erklärt hatte, dass eine weitere Einlassung zur Sache in der Hauptverhandlung nicht erfolgen werde. Die Aufklärung des Sachverhalts konnte mithin ohne Schwierigkeiten durch die gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG zulässige Einführung der schriftlichen Erklärung des Betroffenen vom 12. Oktober 2017 gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 erfolgen.

Unter diesen Umständen konnte das Erscheinen in der Hauptverhandlung nur noch ausnahmsweise zur Sachaüfklärung erforderlich sein. Anhaltspunkte für eine solche Fallgestaltung – wie etwa die mögliche Überleitung des Bußgeldverfahrens in ein Strafverfahren (§ 81 OWiG; vgl. OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 2003 – Ss 169/03 Z -mwN) – sind hier nicht erkennbar. Auch die rein theoretische (weder in der ablehnenden Entscheidung vom 17. Oktober 2017 noch im Verwerfungsurteil niedergelegte) Erwägung, der Betroffene werde in der Hauptverhandlung vielleicht doch Angaben machen, kann eine Aufklärungserwartung und damit die Ablehnung des Entpflichtungsantrags nicht begründen (OLG Zweibrücken DAR 2000, 86). Ebenso wenig kann die Ablehnung damit begründet werden, die Anwesenheit sei erforderlich um aufzuklären, ob der Betroffene sich in der Hauptverhandlung äußere oder nicht (BayObLG VRS 100, 441, 442 = NZV 2001, 523, 524).”

Man fragt sich: Wie oft müssen OLG das eigentlich noch schreiben?

Urteil ohne Unterschrift, oder: Der Selbstläufer führt zur Aufhebung

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Und zum Schluss des Tages das viel gescholtene OLG Bamberg mit dem OLG Bamberg, Beschl. v. 30.04.2018 – 3 Ss OWi 602/18. Das hatte über ein amtsgerichtliches Urteil zu befinden, das nicht unterschrieben war. Ergebnis: Auf die Sachrüge hin Aufhebung:

“Gegenstand der Überprüfung eines Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.04.2017 – 1 RVs 35/17 [bei juris]; OLG Köln, Beschl. v. 19.07.2011 – 1 RVs 166/11 = NStZ-RR 2011, 348; KK/Gericke StPO 7. Aufl. § 337 Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 337 Rn. 22). Das Fehlen jedweder richterlichen Unterschrift ist hierbei dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.11.2000 – 4 StR 354/00 = BGHSt 46, 204 = BGH NJW 2001, 838 = NStZ 2001, 219 = StV 2001, 155; OLG Frankfurt, Urt. v. 18.12.2015 – 1 Ss 318/14 = NStZ-RR 2016, 287; OLG Hamm, Urt. v. 29.04.2008 – 4 Ss 90/08 = NStZ-RR 2009, 24) und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils (vgl. OLG Hamm und OLG Köln, jew. a.a.O.; KK/Greger a.a.O § 275 Rn. 68; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 275 Rn. 29).

So liegt der Fall hier. Das angefochtene Urteil weist keine handschriftliche Unterzeichnung mit dem Namenszug eines Richters auf. Dieser Mangel wird auch nicht durch den maschinenschriftlich abgedruckten Namen der Richterin und durch die zu Unrecht erfolgte Bestätigung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ausgeglichen, wonach das unterschriebene Urteil am 07.02.2018 zur Geschäftsstelle gelangt sei. Diese Zusätze vermögen die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung (§ 275 II 1 StPO) nicht zu ersetzen.

Eine Entscheidung, die nicht überrascht. Da musste sogar das OLG Bamberg aufheben.


Ist Erzwingungshaft “Verhaftung”?, oder: Offen gelassen

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Und die dritte “Haftentscheidung” betrifft eine Erzwingungshaftproblematik, nämlich die Frage, ob Erzwingungshaft nach § 96 OWiG unter den Begriff der Verhaftung i.S.v. § 310 Abs. 1 StPO fällt. Der OLG Hamm, Beschl. v. 20.03.2018 – 4 Ws 27/18 – sagt:

“Der Senat kann offen lassen, ob das Rechtsmittel bereits unstatthaft ist, weil es sich gegen eine Entscheidung eines Landgerichts richtet, welche ihrerseits bereits auf eine Beschwerde (hier: gegen die Anordnung von Erzwingungshaft) hin ergangen ist und in einem solchen Fall eine weitere Beschwerde nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen des § 310 Abs. 1 in Verbindung mit § 46 OWiG statthaft ist (vgl. § 310 Abs. 2 OWiG).

Die Anordnung von Erzwingungshaft fällt nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung nicht unter den Begriff der Verhaftung im Sinne von § 310 Abs. 1 StPO (OLG Hamm NStZ-RR 2006, 320; OLG Rostock NStZ 2006, 245, 246; OLG Schleswig, Beschl.v. 04.08.2004 – 1 Ws 279/04 – juris; offengelassen in: OLG Karlsruhe NStZ 2016, 184). In der Literatur wird diese Auffassung teilweise in Zweifel gezogen. Argumentiert wird, dass die Erzwingungshaft vergleichbar schwerwiegend sei, wie die Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO. Der Begriff der Verhaftung in § 310 StPO sei kein anderer als in § 304 StPO und dort sei die Beugehaft als Verhaftung anzuerkennen (Matt in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 310 Rdn. 43 und 42 unter Hinweis auf OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 26, 27). In der Tat spricht vieles dafür, auch die Anordnung von Erzwingungshaft nach § 96 OWiG als „Verhaftung“ anzusehen, wenn man jede unmittelbar die Haft herbeiführende Entscheidung als relevantes Kriterium ansieht (vgl. BGHSt 26, 270, 271) – in Abgrenzung zu bloß bei Eintritt einer weiteren Bedingung zur Haft führenden Entscheidungen wie bei der Ersatzordnungshaft (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2009 – StB 32/09 = BeckRS 2009, 23731). Diese Frage muss der Senat aber nicht abschließend entscheiden.”

AG Meißen wie AG Jülich, oder: Leivtex XV3 ist nicht standardisiert

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So, heute dann – auch seit längerem mal wieder – ein wenig (?) OWi-/Bußgeldverfahren. Und den Opener macht der AG Meißen, Beschl. v.18.04.2018 – 13 OWi 162 Js 60190/17 (2), den mir der Kollege A.Kaden aus Dresden geschickt hat. Es geht um Leivtec XV3. Das AG Meißen macht es wie das AG Jülich im AG Jülich, Urt. v. 08.12.2017 – 12 OWi-806 Js 2072/16-122/16 (dazu: Leivtec XV3 nicht standardisiert, oder: Honig saugen) und sagt: Leivtex XV3 ist kein standardisiertes Messverfahren und stellt das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen ein. Begründung:

“Aufgrund eigener umfangreicher Ermittlungen des Gerichts zum Messgerät LEIVTEC XV3 in Parallelverfahren, die lediglich wegen der vorübergehenden Dezernatsentlastung von Bußgeldverfahren im Jahr 2017 nicht fortgeführt werden konnten, und der darin gewonnenen Erkenntnisse zum Zulassungsverfahren des fraglichen Messgeräts folgt das Gericht den Gründen im  freisprechenden Urteil des Amtsgerichts Jülich vom 08.10.2017, Aktenzeichen 12 OWi 122/16.

Danach leidet das nach dem bisherigen EichG durchgeführte Zulassungsverfahren der PTB an massiven Mängeln.

Hierzu äußern sich PTB und Hersteller wie folgt:

Die im Verfahren zur Bauartzulassung nach dem EichG durchgeführten Prüfungen, u.a. die EMV-Prüfungen seien in Art und Umfang nicht erforderlich gewesen, weshalb dortige Fehler keine Bewandtnis hätten (vgl. Stellungnahme vom 20.03.2018 – siehe Internet https://vut-verkehr.de/downloads/2018-03-20%20Das%20Geschwindigkeitsueberwachungsgeraet%20LEIVTEC%20XV3%20erfuellt%20alle%20EMV-Anforderungen.pdf

Unterstellt, diese Mitteilung entspräche den Tatsachen, was allerdings angesichts des stets vorhandenen Kostendrucks durchaus bezweifelt werden mag, wäre dies ein typischer Fall für einen Nachtrag zur Bauartzulassung gewesen.

Es existiert indes kein Nachtrag und seit dem Außerkrafttreten des EichG am 31.12.2014 sind Nachträge zu Bauartzulassungen nicht mehr zulässig.

Damit bedarf das Inverkehrbringen und Betreiben des Geschwindigkeitsmessgeräts LE[VTEC XV3 eines vollständig neuen Konformitätsverfahrens nach dem seit dem 01.01.2015 geltenden MEssEG

Dass die Firma LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH stattdessen nach Bekanntwerden der Mängel bei der Bauartzulassung aus ihrer eigenen und Sicht der PTB angeblich unnötige, jedoch durchaus kostenintensive EMV-Prüfungen durchführt, wecken allerdings Zweifel, ob das Messgerät ein solches Verfahren überhaupt bestehen würde.

Ohne ordnungsgemäße Bauartzulassung nach dem früheren EichG bzw. ohne Konformitätserklärung nach dem (MessEG darf das Geschwindigkeitsmessgerät LEITEC XV3 gemäß §§ 6 ff. MessEG nicht einmal in den Verkehr gebracht werden.

Erst recht handelt es sich hierbei nicht um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH.

Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens verfolgt den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen und setzt neben der Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – die systemimmanenten Messfehler erfassenden – Toleranzwert die amtliche Zulassung der verwendeten Messgeräte und Messmethoden voraus (BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92  BGHSt 39, 291-305, Rn. 21), wobei das Tatgericht in einem solchen weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren ohnehin nur von den sachlichrechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe entlastet wird, nicht aber von den Anforderungen, die von Rechts wegen (S 261 StPO) an Messgeräte und -methoden gestellt werden müssen, um die grundsätzliche Anerkennung ihrer Ergebnisse im gerichtlichen Verfahren rechtfertigen zu können (BGH, Beschluss vom 19. August 1993-4 StR 627/92BGHSt 39, 291-305, Rn. 20).

Erfolgte die Messung mit einem nicht oder nicht ordnungsgemäß zugelassenen Messgerät, kann der Tatrichter die gemäß § 261 StPO für eine Verurteilung erforderliche freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit der einzelnen Messung, der nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze entgegenstehen, (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92BGHSt 39, 291-305, Rn. 16) regelmäßig nur unter Zuhilfenahme eines messtechnischen Sachverständigen gewinnen.

Doch im Fall des Geschwindigkeitsmessgeräts LEIVTEC XV3 scheitert auch die sachverständige Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Die hierfür erforderlichen Daten werden nicht mehr gespeichert.

Die Herstellerfirma LEMTEC Verkehrstechnik GmbH in Wetzlar ließ unmittelbar vor Außerkrafttreten des EichG am 30.12.2014 mit einem 1. Nachtrag zur 1. Neufassung der Bauartzulassung eine Softwareversion zulassen und aufspielen, mit der nur noch die Daten „Messung Start- und Ende-Distanz”, „Auswertung Start- und Ende-Distanz” und „Zeitdifferenz zwischen Start- und Ende-Bild” gespeichert werden. Ale anderen durch das Gerät über die gesamte Messtrecke erhobenen Messwerte und gerade jene, aus denen das Gerät die durchschnittliche Geschwindigkeit errechnet, werden nunmehr systematisch auf Null gesetzt, also nicht mehr gespeichert.

Damit ist es einem Sachverständigen nicht mehr möglich, das bei der Fallauswertung einem Fahrzeug Toleranz zugeordnete Messergebnis auf Plausibilität zu prüfen.

Dementsprechend ist auch das Gericht gehindert, den Tatvorwurf zu prüfen.

Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung vermag das Gericht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung, dass die bei Auswertung des Falles angezeigte Geschwindigkeit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des zugeordneten Fahrzeuges entspricht, nicht zu bilden

Die konkreten Gründe, welche die LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH dazu bewogen hatten, die bisherige als vorbildlich geltende Transparenzstrategie (siehe das frühere Messgerät  die bis zum 30.12.2014 verwendete Software) aufzugeben, sind unbekannt.

Die im Nachhinein bekannt gewordenen bei der Zulassung, die durchgeführte aber angeblich gar nicht erforderlich gewesene EMV-Prüfung, die durchaus überraschende und messtechnisch nicht begründete Aufhebung der Speicherung der Einzelmesswerte, die damit aufgehobene Nachprüfbarkeit des Mesergebnisses und nicht zuletzt die vom hiesigen Gericht erlebte und vom Amtsgericht Jülich dokumentierte Intransparenz der rückblickend als höchst ungewöhnlich zu bezeichnenden Vorgänge um dieses Messgerät zusammen mit der fehlenden Auskunftsbereitschaft von Herstellerfirma und PTB ließen jegliches Vertrauen des Gerichts in die Sicherheit des Messgeräts LEIVTEC XV3 schwinden.

Es kann den Verwaltungsbehörden, die wie jene im Landkreis Meißen aus verständlichem Grund gleich mehrere der ja an sich komfortabel und flexibel einsetzbaren Messgeräte angeschafft hatten, zur Sicherstellung einer effektiven, vom Bürger akzeptierten und gerichtsfesten Verkehrsüberwachung nur dringend angeraten werden, die Herstellerfirma zur Wiederherstellung der Transparenz zu mahnen als ersten Schritt zumindest zur Speicherung der über die Auswertestrecke gewonnenen Messwerte zurückzukehren.

As weiterer Schritt ebenso erforderlicher Schritt um das Messgerät überhaupt weiter in Betrieb setzen zu können, wird die Firma LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH die XV3 einem Konformitätsverfahren unterziehen müssen. Wenn Firma und PTB sich so sicher sind wie behauptet, dass die XV3 den Anforderungen an die Mess-, Speicher- und Auswertungssicherheit entspricht, fragt es sich, was sie daran hindert.

Nach erfolgreichem Bestehen eines Konformitätsverfahrens wird zu entscheiden sein, ob für ein nach dem MessEG als konform erklärtes Messgerät die Rechtsprechung über das standardisierte Messverfahren angewendet werden kann oder der Empfehlung des 54. Verkehrsgerichtstages zu folgen sein wird, dies jedenfalls vorerst nicht zu tun mit der Folge, dass jedenfalls bei fehlendem Geständnis jedes   einzeln überprüft werden muss.”

So weit, so gut. Schön auch die “Handlungshinweise” an den Landkreis. 🙂 Was bleibt ist allerdings die Frage, ob die Messung gänzlich unverwertbar ist, oder ob sie nicht doch – mit einem höheren Sicherheitsabschlag – hätte verwertet werden können. Dazu gibt es OLG Rechtsprechung, mit der sich das AG – jedenfalls nicht erkennbar – nicht auseinander gesetzt hat.

Traffistar S 350, oder: Keine Urteilsgrundlage

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Urheber Sebastian Rittau

Als zweite Entscheidung heute dann das AG Heidelberg, Urt. v. 18.01.2018 – 17 OWi 540 Js 21713/17, auf das der Kollege Gratz im VerkehrsRechtsblog ja schon hingewiesen hat. Auch in der Entscheidung geht es um eine Geschwindigkeitsmessung, und zwar mit TraffiStar S 350. Das AG hat den Betroffenen frei gesprochen. Begründung: Die Geschwindigkeitsmessung mit TraffiStar S 350 ist unverwertbar, weil das Gerät weder Rohmessdaten noch Zusatzdaten zu den Messungen in der Falldatei zur nachträglichen Überprüfung abspeichert und die Messung daher nicht überprüft werden kann:

Wie dem Gericht aus vorangegangenen Verfahren mit dem Messgerät TraffiStar S350 bekannt ist, beruht die Messung hierbei auf einer digitalen Geschwindigkeitsmessung mittels Laserimpuls-Laufzeitmessung. Die Messung erfolgt mittels Lichtimpulsen, die vom Gerät ausgesendet und von getroffenen Objekten reflektiert werden. Diese werden vom Gerät wieder empfangen, durch den Zeitunterschied von ausgesendetem und empfangenem Impuls wird über die konstante Lichtgeschwindigkeit der Impulse die Entfernung zum Objekt bestimmt. Bei einem sich bewegenden Objekt wird dann aus der Änderung der Entfernung die Geschwindigkeit ermittelt. Bei einer geräteintern gültigen Messung löst das Gerät gemäß der Bedienungsanleitung spätestens 5 m nach Messende ein Foto aus. Hierfür berechnet das Gerät aus der gemessenen Geschwindigkeit des jeweiligen Fahrzeugs die Fotoposition. Hierbei wird außerdem die Position einer Auswertehilfe bestimmt, die der Zuordnung des Messwerts zu einem bestimmten Fahrzeug dient und die in das Messfoto eingeblendet wird.

Das Messgerät erlaubt allerdings in der hier verwendeten Softwareversion, im Gegensatz zur Vorgängerversion, keine Plausibilitätskontrolle mehr. Sofern Rohmessdaten noch abgespeichert werden, haben Sachverständige hierauf keine Zugriffsmöglichkeit mehr. Damit ist einem unabhängigen Sachverständigen eine Rückrechnung der gefahrenen Geschwindigkeit tatsächlich nicht mehr möglich. Vielmehr ist man bei diesem Messgerät gehalten, sich auf die eingeblendete Datenleiste im Tatfoto (vgl. AS 9) blind zu verlassen. Die dort aufgeführte Geschwindigkeit lässt sich allerdings in keiner Weise nachvollziehen. Eine Weg-Zeit-Berechnung ist anhand der vorliegenden Daten nicht möglich. Ein tatsächlicher Grund, warum die entsprechenden Rohmessdaten bei dieser Version nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, ist nicht zu erkennen und auch nicht nachvollziehbar.

Im Gegenteil, vielmehr wurde bei dem Messsystem poliscan-speed mittlerweile erreicht, dass mit der Speicherung von „nur“ 5 Messdaten in einer xmi-Datei zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglicht wurde. Damit wird vor dem Gedanken des „fair-trail“ der Betroffene nicht mehr darauf verwiesen, einem Gerät zu glauben, dass es die Geschwindigkeit, mit der er gemessen wurde, richtig berechnet hat; ihm wurde die Möglichkeit eröffnet, diese Geschwindigkeitsmessung nachzuvollziehen.

Durch den Wegfall dieser Möglichkeit wurde eine Überprüfung der Messung schlicht unmöglich gemacht. Allein die Zulassung dieses Gerätes durch die PTB reicht demgegenüber nicht zur richterlichen Überzeugungsbildung, dass es sich um eine ordnungsgemäße, nicht zu beanstandende Messung handelt.

Das Amtsgericht Stralsund hat mit Urteil vom 07.11.2016 (Az. 324 OWi 554/16) bereits entschieden, das das Messgerät TraffiStar S350 von vornherein die Möglichkeit ausschließe, die Zuverlässigkeit der Messung etwa durch Sachverständigenbeweis zu überprüfen und somit die Amtsermittlungsmöglichkeit quasi standardisiert beschnitten sei, eine Anerkennung als standardisiertes Messverfahren somit nicht mehr in Betracht käme. Hierbei stützt sich das Amtsgericht auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Kassel vom 24.08.2016, welches ebenfalls Messwerte mit diesem Messgerät als Beweismittel im standardisierten Verfahren verworfen hat, weil die eingesetzte Technik die Weg-Zeit-Berechnung nicht nachvollziehbar mache. Dementsprechend ging vom Regierungspräsidium Kassel mit Schreiben vom 29.08.2016 eine Empfehlung an alle hessischen Kommunen, keine Anzeigen mit derartigen Messungen mehr an das Regierungspräsidium weiterzuleiten, da sie vorerst keine Verfahren mehr mit diesem Messsystem einleiten werden.

Bei dieser Sachlage fehlt es nach wie vor an einem tauglichen Beweismittel, um die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung nachvollziehen zu können.

Hier geht es zum erwähnten: AG Stralsund, Urt. v. 07.11.2016 – 324 OWi 554/16 …….

Nachträgliche Einspruchsbeschränkung, oder: Dafür braucht der Verteidiger eine “ausdrückliche Ermächtigung”

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So, und zum Schluss dann heute der OLG Bamberg, Beschl. v. 03.04.2018 – 3 Ss OWi 330/18. Es geht um die nachträgliche Einspruchsbeschränkung . Nach dem OLG-Beschluss stellte sich folgender Sachverhalt:

“Nach Einspruchseinlegung beschränkte der vom damaligen Verteidiger mit einer „Terminsvollmacht“ beauftragte Unterbevollmächtigte in der ohne den Betr. stattfindenden Hauptverhandlung am 03.08.2017 ohne zusätzliche Erklärung zum Vorliegen einer entsprechenden Ermächtigung den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch. Nachdem der Unterbevollmächtigte eine Rücknahme des Einspruchs bis spätestens 04.10.2017 „zugesichert“ hatte, setzte das AG die Hauptverhandlung aus. Entgegen der „Zusicherung“ wurde der Einspruch in der Folgezeit jedoch nicht zurückgenommen. Aufgrund dessen verurteilte das AG den Betr. am 11.12.2017 zu einer Geldbuße von 320 € und verhängte gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot. Das von der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung ausgehende AG hat keine Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen.”

Das OLG Bamberg hat aufgehoben:

“2. Die vom unterbevollmächtigten Verteidiger der ersten Instanz in der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betr. erklärte Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nach § 67 II OWiG ist unwirksam. In der nachträglichen Beschränkung des zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruchs liegt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs, die durch den Verteidiger gem. § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO nur mit ausdrücklicher Ermächtigung des Betr. erklärt werden konnte. Eine solche lag indes nicht vor.

a) Die nachträgliche Beschränkung des Einspruchs stellt eine teilweise Zurücknahme des Rechtsbehelfs dar (vgl. auch LR/Jesse StPO 26. Aufl. [2014] § 302 Rn. 44), weil hierdurch der Prüfungsumfang des Gerichts reduziert wird. Dem steht nicht entgegen, dass im Falle einer Revision deren Beschränkung auf bestimmte Beschwerdepunkte, die mit der Revisionsbegründung vorgenommen wird, nicht als Teilrücknahme in diesem Sinne, sondern lediglich als Konkretisierung des zunächst offen gebliebenen Anfechtungsumfangs anzusehen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.06.1991 – 4 StR 105/91 = BGHSt 38, 4 = NStZ 1991, 501 = MDR 1991, 979 = BGHR StGB § 64 Ablehnung 4 = BGHR StPO § 302 II Beschränkung 2 = AnwBl. 1991, 599 = wistra 1991, 348 = NJW 1991, 3162 = StV 1992, 7; Urt. v. 23.10.1991 – 3 StR 321/91 = StV 1992, 10 = NStZ 1992, 126 = BGHR StGB § 24 I 1 Versuch, unbeendeter 25 = BGHR StGB § 46 I Kronzeuge 1 = BGHR StPO § 260 III Freispruch 3 = BGHR StPO § 302 I Konkretisierung 1 = MDR 1992, 393 = NJW 1992, 989 = JZ 1992, 536). Dieser Grundsatz, von dem dann eine Ausnahme gemacht wird, wenn die Beschränkung der Revision erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erfolgt (BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 100/13 = NStZ-RR 2013, 352 = BGHR StPO § 302 I Rücknahme 7), kann auf den Einspruch nicht übertragen werden. Denn er beruht allein auf der Besonderheit des Revisionsrechts, wonach der Bf. gem. § 344 I StPO die Erklärung abzugeben hat, inwieweit er das Urteil anfechten will (KG, Beschl. v. 19.02.1999 – 2 Ss 419/985 Ws (B) 717/98 [bei juris]). Dagegen wird durch den Einspruch, der nach der gesetzlichen Regelung gerade keiner Begründung bedarf, der Bußgeldbescheid in vollem Umfang angefochten, sofern er nicht bereits mit der Einlegung nach 67 II OWiG auf einen bestimmten Beschwerdepunkt beschränkt ist (KG a.a.O.; i.E. ebenso für die Berufung OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2010 – 2 Ss 618/10 = Justiz 2011, 104 = OLGSt StPO § 302 Nr. 10 und für den Einspruch gegen den Strafbefehl OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2010 – 1 RVs 71/10 = NStZ 2010, 655 sowie LR/Jesse § 302 Rn. 44).

b) Die demnach gem. § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO für die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch erforderliche ausdrückliche Ermächtigung durch den Betr. lag nicht vor.

aa) Aus den Vollmachtsurkunden, die für den Verteidiger der ersten Instanz sowie den Unterbevollmächtigten ausgestellt worden waren, ergibt sich eine solche Befugnis nicht. Ungeachtet dessen, dass eine in der schriftlichen Vollmachtsurkunde enthaltene Ermächtigung nur dann ausreichend wäre, wenn die Vollmacht gerade zu dem Zweck der Einlegung des Rechtsbehelfs erteilt worden wäre (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 31.08.2016 – 2 StR 267/16 [bei juris] m.w.N.), ist in den vorgelegten Vollmachtsurkunden ohnehin eine ausdrückliche Ermächtigung zur Rücknahme oder Beschränkung des Rechtsbehelfs gerade nicht aufgenommen.

bb) Da allerdings für die nach § 67 I 2 OWiG i.V.m. § 302 II StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung, die im Zeitpunkt der Erklärung der Einspruchsbeschränkung vorgelegen haben muss, keine besondere Form vorgeschrieben ist und der Nachweis auch nachträglich, etwa durch eine anwaltliche Versicherung, erbracht werden kann (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.12.2016 – 4 StR 558/16 = NStZ-RR 2017, 185; 04.2015 – 1 StR 112/15 = NStZ-RR 2016, 24; 05.02,2014 – 1 StR 527/13 [bei juris]; Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 100/13 = NStZ-RR 2013, 352 = BGHR StPO § 302 I Rücknahme 7), hat der Senat entsprechende Ermittlungen durchgeführt. Hiernach ist indes nicht davon auszugehen, dass der Betr. seine in erster Instanz für ihn tätigen Verteidiger ausdrücklich zur Beschränkung seines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ermächtigt hatte. Der Hauptbevollmächtigte hat sich mit dem Hinweis, dass ihm weder das Sitzungsprotokoll noch das Urteil der ersten Instanz zur Verfügung stehen, „außerstande gesehen“, die ihm gestellte Frage, ob er vom Betr. zur Beschränkung des Einspruchs ermächtigt war und ob er den Unterbevollmächtigten entsprechend ermächtigt hat, zu beantworten. Der Betr. hat erklärt, er habe seinem Verteidiger gegenüber zwar durchaus zum Ausdruck gebracht, dass sein „Hauptanliegen“ das Entfallen des Fahrverbots sei, eine ausdrückliche Besprechung zur „prozessualen Vorgehensweise“ habe jedoch seiner Erinnerung nach nicht stattgefunden. Die Einholung einer Stellungnahme des Unterbevollmächtigten war bei dieser Sachlage nicht mehr geboten, zumal er seine Befugnis zur Rechtsmittelbeschränkung allenfalls vom Hauptbevollmächtigten ableiten konnte, dieser aber schon nicht über eine entsprechende Ermächtigung verfügte.”

Messung mit Messverfahren M5 RAD2 (VDS) ist standardisiert, oder: Auf den Altar

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Heute dann der zweite OWi-Tag. Und zu Beginn eine weitere Entscheidung zu Messverfahren, und zwar der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.04.2018 – IV 2 RBs 59/18. Der hebt ein weiteres Messverfahren – das Verfahren M5 RAD2 (VDS) – auf den Altar der OLG. Das Verfahren wird vom OLG nämlich – soweit erichtlich zum ersten Mal in der Rechtsprechung – zum standardiserten Messverfahren “ernannt”.

“Die zulässig erhobene Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Betroffene erhebt – jedenfalls ausdrücklich – nur die Rüge der Verletzung des materiellen Rechts. Diese Rüge ist nicht begründet.

Entgegen der Ansicht des Betroffenen weisen die Erwägungen des Amtsgerichts, die den Feststellungen zu der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit zugrunde liegen, einen Rechtsfehler nicht auf. Das Amtsgericht gelangt rechtsfehlerfrei ausgehend von der Annahme, dass hier ein standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen sei, zu der Überzeugung von der Fehlerfreiheit der Messung.

a) Bei dem hier zum Einsatz gekommenen Verfahren M5 RAD2 (VDS) handelt es sich um ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung (BGHSt 39, 291). Allerdings ist zu diesem speziellen Messverfahren, soweit ersichtlich, bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung ergangen. Der Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 25. Januar 2017 (Az. IV-2 RBs 10/17, veröffentlicht bei NRWE und juris) zu dem Messverfahren M5 Speed desselben Herstellers geäußert gehabt.

Unter einem standardisierten Messverfahren ist ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277, 284).

Die Geschwindigkeitsüberwachungsanlage M5 RAD2 des Herstellers VDS Verkehrstechnik GmbH ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) unter dem Zulassungszeichen 18.11/14.01 zur Eichung zugelassen worden (vgl. https://www.ptb.de/cms/ptb/fachabteilungen/abt1/fb-13/ag-131/geschwindigkeits-ueberwachungsgeraete.html).

Die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt als antizipiertes Sachverständigengutachten enthebt das Tatgericht, soweit das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden ist, grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgerätes. Die Zulassung ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren in Bußgeldsachen nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss. Die Überprüfung und Zulassung des Messgerätes durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt bietet grundsätzlich eine ausreichende Gewähr dafür, dass die Messung bei Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für den Einsatz auch im Einzelfall ein fehlerfreies Ergebnis liefert (vgl. OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen], BeckRS 2014, 15458; BeckRS 2015, 19880; OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Zweibrücken DAR 2017, 399; KG Berlin VRS 131, 308).

Der Tatrichter muss sich nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (BGHSt 39, 291, 301). Die bloß denkbare Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisseserfordert seine Nachprüfung nicht.

b) Solche Anhaltspunkte für Zweifel lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Der Betroffene leitet seine Einwendungen – im Übrigen urteilsfremd – allein aus Hinweisen in einem von ihm dem Amtsgericht vorgelegten Privatgutachten ab, nach denen der Privatsachverständige bestimmte Prüfungen nicht vornehmen konnte, weil ihm die zugehörigen Informationen (Konformitätsbescheinigung, originale Messdatei)gefehlt hätten. Allein die fehlende Überprüfung oder Nachprüfungsmöglichkeit für einen Privatsachverständigen ist aber nicht geeignet, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung zu wecken.”

Das sind sie wieder die sattsam bekannten Formulierungen: Antizipiertes Sachverständigengutachten – finde ich übrigens nicht in der StPO den Begriff – usw.

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